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Christine Brückner & Ricarda Huch

„Die Stunde des Rebhuhns“ ist nach Goethes Mutter die Stunde der Entspannung nach einem Tag der Anspannung, wenn man nichts anderes mehr tun mag, „als ein Rebhuhn zu streicheln“, eine „Stunde der Glückseligkeit“.

Christine Brückner: Die Stunde des Rebhuhns. TB, Ullstein 1993
Ricarda Huch: Der letzte Sommer. Eine Erzählung in Briefen. Kampf Verlag 2019

In einer solchen Stunde besah ich unsere Bücherregale und fand „Die Stunde des Rebhuhns“ von Christine Brückner wieder. In dem 1993 erschienenen Buch schreibt sie über ihre Erlebnisse und Erfahrungen und darüber, dass sie die 1910 erschienene Erzählung in Briefen von Ricarda Huch „Der letzte Sommer“ wieder gelesen habe.

Nun habe ich auch in den Sommerferien Ricarda Huchs Erzählung gelesen. Sie spielt zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Russland auf dem Sommerlandsitz des Gouverneurs von St. Petersburg. Und da Christine Brückner sehr gut über das großartige Buch von Ricarda Huch schreibt, zitiere ich sie hier:

„Der Gouverneur ist bedroht, er hat - der Studentenunruhen wegen - die Universitäten schließen lassen, er ist der Machthaber, widersetzt sich dem Fortschritt, aber ein sympathischer Mann, der von der Richtigkeit seiner Handlung überzeugt ist; seine liebeswürdige Frau nennt ihn in ihren Briefen „mein Unsterblicher“. Er besitzt zwei hübsche, heitere Töchter und einen Sohn. Auf dem Landgut wird man das Ende der Unruhen abwarten. Zum persönlichen Schutz hat man Lju engagiert, er wird dem Gouverneur als Sekretär dienen. Auch er ist intelligent, charmant, gutaussehend, anpassungsfähig; er spielt seine Rolle als Schutzengel so gut, daß alle sich in ihn verlieben, auch der Leser, wie überhaupt alle ein wenig verliebt sind, in den Sommer, in das Leben. Die schwärmerische Jessika schreibt unter einen ihrer Briefe: „Alles, was blühen kann, blüht!“ Der Leser liest zwischen den Zeilen: Alles, was blüht, welkt, vergeht. Über der Idylle liegt ein Hauch Einsamkeit, Trauer, alle scheinen zu spüren: Dies ist der letzte Sommer. Der Leser weiß es von der ersten Seite an, Lju ist ein Luzifer, er wird den Gouverneur töten. Zwischendurch vergißt man die mörderischen Absichten, wird daran erinnert, denkt immer wieder: Das kann er doch nicht tun!

Lju schreibt Briefe über die möglichen Todesarten, die Töchter schreiben über Lju und den Sommer, und die Mutter schreibt, alle schreiben Briefe, nur der Gouverneur nicht, er hat einen Sekretär, dessen Anwesenheit begrenzt ist. Die Anschaffung einer Schreibmaschine wird erwogen, sie gilt, wie das Automobil, als ein Zeichen der Fortschrittlichkeit. Lju erkrankt! Noch ein Aufschub. Dann reist er ab und läßt die Schreibmaschine zurück. Den letzten Brief schreibt der Gouverneur eigenhändig auf der neuen Schreibmaschine, seine Frau beugt sich liebevoll über seine Schulter. Sein Vorname beginnt mit „J“. Mit „J“ endet der Brief, endet das Buch. Den Anschlag verübt er selbst. Ein Buchstabe tötet. Was für ein intelligenter, dichterischer Einfall!"

Dem kann ich nur zustimmen und vielleicht entdeckt Ihr die Erzählung in einer - Stunde des Rebhuhns - auch wieder.

Vorgelesen 
    von Gisela

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