Direkt zum Hauptbereich

Christoph Steckelbruck: Der gefangene Sommer

conte Verlag // 2018
334 Seiten // 22 Euro // Hardcover

"Als das Mädchen am zwölften April verschwand, nahm es den Sommer mit sich. Die Temperaturen sackten um zehn Grad ab. Wind und Regen kamen auf und wollten nicht mehr weichen bis in den September."

Dabei hatte der Sommer doch so gut angefangen. Anton ist 13 Jahre alt und steht damit auf dem Beginn der Schwelle zum Erwachsenwerden. Mit seinem etwas pummeligen Aussehen und seinem kindlichen Gemüt hängt er den anderen etwas hinterher, doch mit seiner Bekanntschaft zu Gabi überschreitet er endlich die Schwelle des Kinderspielplatzes und gehört zu den Jugendlichen. Nun als Jugendlicher begegnen ihm drei Mädchen, auf die er sich alle in eine Art und Weise verliebt.
Unter ihnen ist die verschwundene Anneliese. Selbst ist er ihr nie wirklich begegnet, doch verliebt er sich in ihr Bild in der Zeitung. Nachdem sie ihm beim Kirmesbesuch erscheint und er ein unsichtbares Band zwischen sich und ihr spürt, macht er sich auf die Suche nach ihr - nicht zuletzt, um auch seinen zwei anderen Angebeteten zu imponieren. Bei einem Ungewitter begegnet er dabei dem Affenmann. Salamander Lindhorst, der abgeschieden in einem Wohnwagen im Wald lebt. In ihm findet Anton einen Seelenverwandten. "Du kennst es auch, du bist wie ich. Ein Traumwandler."
Mit seinem Anselmus an der Seite philosophiert Salamander Lindhorst über Wirklichkeit, Raum und Zeit und berührt damit eine besondere Seite in Anton. Zuvor oft von seiner Mutter für seine Träumereien getadelt, gibt es nun jemanden, der ihn wirklich zu verstehen scheint. Denn im Gegensatz zu den anderen Kindern hat Anton sein Warum? bewahrt und Salamander Lindhorst kann sie beantworten.
"Weißt du, mein Bester, die Sprache macht uns die Welt. Sie gibt uns Ordnung, die wir Wirklichkeit nennen. Aber die Ordnung kommt von uns, nicht von der Welt. Verstehst du was ich meine?"
"Ja", log Anton.
"Wir", sagte der Archivar, "machen uns ein Bild, eine Vorstellung von der Welt. Hör nur genau auf meine Worte. Das Wort Vorstellung bedeutet ja, dass wir ein Bild vor eine Sache stellen, um sie für uns verständlich zu machen. Aber zugleich verdeckt es uns auch den Blick auf dieses Sache. Klar? [...] Wir aber nehmen die Vorstellung für die Sache selbst. Zwar erhalten wir dadurch ein Weltbild, dass es uns ermöglicht, einigermaßen klarzukommen, aber Naturen wie du und ich spüren oft so ein Ziehen und Zerren. Das kennst du doch auch: so ein Gefühl, dass hinter den Dingen etwas verborgen liegt. Oder?"
"Ja", antwortete Anton. Das konnte er verstehen. Das war sein Gefühl. So wie seine Mutter zu la Montanara sagte, dass sei unser Lied, so konnte Anton sagen, dies sei sein Gefühl.

Die Sprache Steckelbruch hat etwas poetisches und vor allem bei den Gesprächen zwischen Anton und Lindhorst gibt es viele Beispiele dafür, die ich mir angestrichen habe. Doch diese wundervolle Poesie bekommt etwas radikales, gewalttätiges in seinem Inhalt. Denn verallgemeinernd erzählt der gefangene Sommer von kaputten menschlichen Beziehungen. Alle Jugendlichen der Clique haben ein gestörtes Verhältnis zu ihren Eltern oder werden verwahrlost. Dies liegt wahrscheinlich daran, dass auch die Eltern keine Liebe in ihren Beziehungen haben. Wie sollen sie dann ihren Kindern darin ein gutes Beispiel sein? Alle Erwachsenen in diesem Roman haben fast ausschließlich aus finanziellen Gründen oder Aussehen miteinander verbunden. So können auch die Jugendlichen untereinander kaum Zuneigung empfinden.
"Sprachlich" befindet sich der gefangene Sommer auf hohem Niveau, aber die Tatsache, dass jeder Mensch kaputt ist und daher kaum menschliche Beziehungen eingehen kann und setzt einen geradezu depressiven Schleier auf den Roman und ist nicht wirklich das Bild, das ich von einem Buch vermittelt bekommen möchte.


Für das Rezensions-exemplar danken wir:

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Ilinca Florian: Das zarte Bellen langer Nächte

Roman // Karl Rauch Verlag // 2020 160 Seiten // 20.00 Euro // gebunden mit Lesebändchen Das zarte Bellen langer Nächte ist ein typisches Buch über eine verlorenen Seele in der Großstadt Berlin und über das Erwachsenwerden. Nach ihrem Studienabschluss weiß Hannah nicht, wohin ihr Weg sie führt. Sie nimmt verschiedene Jobs an, um sich über Wasser zu halten, so arbeitet sie für das KaDeWe oder auch für Zalando bei der Rücknahme von Kleidungsstücken. Bei vor allem letzteren fand ich einen Eindruck in die Arbeitsweise spannend, doch auch dort hält es Hannah nicht lange. Sie ist in gewisser Weise rastlos, ohne hibbelig zu sein, verloren, ohne orientierungslos zu sein: Hannah ist weder traurig noch besonders glücklich. Sie denkt an früher, als sie oft alleine durch den Wald spazierte, der in der Nähe ihres Gymnasiums lag. Hat sie sich verändert? Überhaupt nicht. Seltsam, der Gedanke. Dass man immer der gleiche Mensch bleibt, es werden nur Jahre, Kleidung, ein wenig Schminke und eine g

Der Trubel des akademischen Lebens

ACADEMIA  ist ein statirischer Roman über die Welt der Universitäten und akademischen Weihen. Eve Braintree hat nach der Trennung von ihrem Freund ihre Professorenstelle an der Ostküste aufgegeben, um als Leiterin des Medienzentrums einer renommierten Universität im sonnigen Kalifornien ein neues Leben zu beginnen.  Karen Ruoff: ACADEMIA Roman // Originaltitel: Coming up Ruses Argument Verlag // 2021 // Übersetzt von Christa Schuenke Seiten 400 // 24,00 Euro // Gebunden mit Lesebändchen Als die Budgets der Universität drastisch gekürzt werden, lernt Eve schnell die Schattenseiten des Universitätslebens kennen: Hartley Kendall der Präsident der Universität ist der Prototyp des Machtpolitikers. Nach außen vertritt er zwar den strikten Sparkurs, verfolgt aber nur seine eigenen Reichtums und Machtinteressen. Denn Einfluß an der Universität und in dessen Stiftungsrat haben nur die Mitglieder und Förderer der U_S, was U_numschränkte S_eelenruhe bedeutet. Psychaterin und Hellseherin Anna Na

Andreas Lehmann: Schwarz auf Weiss

Wieder hat der Karl Rauch Verlag es geschafft mich bereits mit der Cover-Gestaltung zu überzeugen. Ich wünschte alle meine Bücher würden so aussehen! Karl Rauch Verlag // 2021 176 Seiten // 20,00 Euro // Hardcover Als Martin Oppenländer erkennt wie sinnlos und monoton seine Arbeit letztlich ist, will er nicht länger von ihr abhängig sein. Kurzerhand macht er sich selbstständig. Doch die erhoffte Freiheit stellt sich nicht ein als die Welt auf einmal still steht. Da keine Aufträge hereinkommen, bleibt er in der Abhängigkeit, doch dieses mal nicht von einem Arbeitgeber, sondern vom Staat. Sein Leben scheint komplett aus den Fugen geraten zu sein, ohne Alltag mit einem Job, den er nicht ausüben kann. In dieses Chaos hinein erreicht ihn ein Anruf aus der Vergangenheit - von einer Frau, an die er sich nicht mehr erinnern kann. Als Martin ihr dies gesteht, ist sie zunächst nicht sonderlich erbaut darüber. Trotzdem ruft sie wieder an. Und während er versucht ein Bild von dieser Frau zusammen