Direkt zum Hauptbereich

Philipp Tingler: Rate wer zum Essen bleibt?

Roman // Kein & Aber // 2019
208 Seiten // 20,00 Euro // Hardcover


Die Soziologin Franziska braucht akademische Beziehungen. Sie bittet den Dekan der soziologischen Fakultät und seine Gattin zu einem gemeinsamen Abendessen zu sich und ihrem Mann Felix nach Hause. Doch der sorgfältig geplante Abend endet schnell in einem Disaster und das Dank Conni. Sie ist eine frühere Kommilitonin von Felix und nachdem sie gerade erst bei Goldman Sachs kündigte, lädt Felix sie ein.
Durch brüskierende Fragen stellt Conni die beiden Ehepaare bloß und verwandelt Franziskas vermeintliches Karrieresprungbrett in eine Bauchlandung. Zur Steigerung des Dramas wird Conni während des Abends von einer undefinierbaren Krankheit befallen und quartiert sich für die nächsten fünf Tage bei Franziska und Felix ein, um ihnen mit ihrer vermeintlich offenen Art den verlogenen Spiegel der Spießerwelt vor zu halten.

Im Laufe des Buches werden die Geschehnisse während dieser Woche mit Conni mit einer witzig, zynischen Screwball-Komödie von Noel Croward verglichen. Ich finde den Vergleich nicht zutreffend. Keine der Figuren von Philipp Tingler ist wirklich unterhaltsam oder selbstironisch, sie sind eher bemitleidenswert.

Die Soziologin Franziska, die sich und ihre Herkunft ständig hinterfragen muss und als Zukurzgekommene in der akademischen Laufbahn nun in der Stiftungsprofessur ihre letzte Chance sieht. Sie unternimmt einen zweiten Versuch und lädt den Präsident der Professur gebenden Stiftung zu einem zweiten Abendessen ein. Auch er wird, wie der Dekan zuvor, als grotesker Vertreter der akademischen Welt dargestellt und ihre Frauen als völlig weltfremdes Anhängsel auf dem Weg zur vermeintlichen esoterischen oder literarischen Selbstfindung.
Überzeichnete Klischees in allen Charakteren sind weder unterhaltsam noch charmant. Auch Franziskas schriftstellernder Ehemann ist da keine Hilfe. Er scheint die abendlichen Einladungen als uninteressierter Beobachter zu absolvieren und es bleibt bis zum Ende offen, warum er Conni überhaupt zu diesem wichtigen Termin dazugeben hat.
Wahrscheinlich damit die Geschichte funktioniert und Conni den Anwesenden einen Spiegel vorhalten kann. Doch während ein Spiegel eigentlich Teile der Realität wiedergibt, handelt es sich bei Connis um eine verzerrte Pseudoreflexion.

Aber wahrscheinlich sehe ich das Alles viel zu realistisch, und Philipp Tingler wollte mit seinem Rundumschlag zeigen, was passiert, wenn sich überspannte Franziskas in Connis verwandeln.


Wir danken Kein & Aber für das Besprechungsexemplar

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Ilinca Florian: Das zarte Bellen langer Nächte

Roman // Karl Rauch Verlag // 2020 160 Seiten // 20.00 Euro // gebunden mit Lesebändchen Das zarte Bellen langer Nächte ist ein typisches Buch über eine verlorenen Seele in der Großstadt Berlin und über das Erwachsenwerden. Nach ihrem Studienabschluss weiß Hannah nicht, wohin ihr Weg sie führt. Sie nimmt verschiedene Jobs an, um sich über Wasser zu halten, so arbeitet sie für das KaDeWe oder auch für Zalando bei der Rücknahme von Kleidungsstücken. Bei vor allem letzteren fand ich einen Eindruck in die Arbeitsweise spannend, doch auch dort hält es Hannah nicht lange. Sie ist in gewisser Weise rastlos, ohne hibbelig zu sein, verloren, ohne orientierungslos zu sein: Hannah ist weder traurig noch besonders glücklich. Sie denkt an früher, als sie oft alleine durch den Wald spazierte, der in der Nähe ihres Gymnasiums lag. Hat sie sich verändert? Überhaupt nicht. Seltsam, der Gedanke. Dass man immer der gleiche Mensch bleibt, es werden nur Jahre, Kleidung, ein wenig Schminke und eine g...

Andreas Lehmann: Schwarz auf Weiss

Wieder hat der Karl Rauch Verlag es geschafft mich bereits mit der Cover-Gestaltung zu überzeugen. Ich wünschte alle meine Bücher würden so aussehen! Karl Rauch Verlag // 2021 176 Seiten // 20,00 Euro // Hardcover Als Martin Oppenländer erkennt wie sinnlos und monoton seine Arbeit letztlich ist, will er nicht länger von ihr abhängig sein. Kurzerhand macht er sich selbstständig. Doch die erhoffte Freiheit stellt sich nicht ein als die Welt auf einmal still steht. Da keine Aufträge hereinkommen, bleibt er in der Abhängigkeit, doch dieses mal nicht von einem Arbeitgeber, sondern vom Staat. Sein Leben scheint komplett aus den Fugen geraten zu sein, ohne Alltag mit einem Job, den er nicht ausüben kann. In dieses Chaos hinein erreicht ihn ein Anruf aus der Vergangenheit - von einer Frau, an die er sich nicht mehr erinnern kann. Als Martin ihr dies gesteht, ist sie zunächst nicht sonderlich erbaut darüber. Trotzdem ruft sie wieder an. Und während er versucht ein Bild von dieser Frau zusammen...

Der Trubel des akademischen Lebens

ACADEMIA  ist ein statirischer Roman über die Welt der Universitäten und akademischen Weihen. Eve Braintree hat nach der Trennung von ihrem Freund ihre Professorenstelle an der Ostküste aufgegeben, um als Leiterin des Medienzentrums einer renommierten Universität im sonnigen Kalifornien ein neues Leben zu beginnen.  Karen Ruoff: ACADEMIA Roman // Originaltitel: Coming up Ruses Argument Verlag // 2021 // Übersetzt von Christa Schuenke Seiten 400 // 24,00 Euro // Gebunden mit Lesebändchen Als die Budgets der Universität drastisch gekürzt werden, lernt Eve schnell die Schattenseiten des Universitätslebens kennen: Hartley Kendall der Präsident der Universität ist der Prototyp des Machtpolitikers. Nach außen vertritt er zwar den strikten Sparkurs, verfolgt aber nur seine eigenen Reichtums und Machtinteressen. Denn Einfluß an der Universität und in dessen Stiftungsrat haben nur die Mitglieder und Förderer der U_S, was U_numschränkte S_eelenruhe bedeutet. Psychaterin und Hellseheri...