20.11.2016:
Asheville ist für seine liberale Grundhaltung und bunte Bewohnerschaft bekannt. Die Stadt liegt malerisch in einem weiten Talkessel im nordwestlichen Zipfel North Carolinas, umgeben von den Blue Ridge Mountains und bereits ganz nah zum Cherokee Nationalpark, der das Herz der Smoky Mountains darstellt. Für viele amerikanische Touristen ist es auch die Stadt, in der das Schloß der Vanderbilts steht, das größte Eigenheim der USA.
Ich habe mich immer gefragt, woher diese manische Verwendung des Superlativs hier kommt. Ist es die Weite des Landes, der unendlich scheinende Raum? Aber den besitzen bis auf Europa alle Kontinente. An dem Vanderbilt Estate erscheint mir nichts originär. Allerdings komme ich aus einem Land voller Schlösser und Burgen. Der Witz an der ganzen Sache ist für mich, dass die Nachkommen der vor den Auswüchsen des europäischen Feudalismus Geflohenen nichts anderes taten als schnell, sobald Geld da war, alles nachzubauen, was ihre Großeltern hinter sich gelassen hatten.
Was mich hier auch irritert, ist die Hingabe, mit der vier- und mehrspurige Straßen gebaut werden, selbst durch Dörfer, die dadurch zerschnitten und zerstört werden; dass es nie genug Shopping Malls zu geben scheint, selbst wenn bereits Ruinen aufgelassener Geschäfte die Städte umgeben – und dass offensichtlich Banken dafür immer noch Kredite vergeben. Die Verschwendung von Raum für Straßen und Parkplätze ist für mich als Europäerin schwer nachvollziehbar. Raum ist für uns kostbar. Hier spielt er keine Rolle.
Die amerikanischen Freunde, die viel reisen, sehen das mit gemischten Gefühlen und ärgern sich hauptsächlich, weil Ästhetik bei ihnen keinen Stellenwert hat. Ich denke, das ist überall auf der Welt so. Aber nicht überall springt es einem wegen der gigantischen Ausmaße so ins Auge.
In Asheville wohnt einer meiner spannendsten Kollegen. Wir trafen einander persönlich vor wenigen Jahren endlich in Oxford. Er ist ein Reisender wie ich, der jahrelang als Lehrer in Afrika gearbeitet und viel von der Welt gesehen hat. Von New York zog er mit seiner Frau nach Asheville, weil sie nicht nur Umgebung und Klima reizten, sondern auch die offene Gesellschaft hier.
Im Stadtzentrum fand gerade wieder eine Anti-Trump-Demonstration statt. Viele Stunden später riefen junge Frauen noch immer ihre Proteste in die Menge. Die Gehsteige waren voller spazierender Menschen, auch hier war das Zentrum ein Treffpunkt von Fußgängern.
Die Galerien zeigten zum Teil den üblichen Kitsch – etwas, das ein Künstler und Galerist, den ich später in Savannah kennenlernte, „Beach Art“ nannte, gefällige impressionistisch angehauchte Genrebilder. Allerdings gab es auch Galerien, die zeigten, welche interessanten künstlerischen Wege weit weg von New York und Chicago auch im Hinterland begangen werden.
Mein Kollege machte mich auf ein Buchgeschäft aufmerksam, das offensichtlich zur Diversität dieser Stadt viel beiträgt. Kaum betrat ich das „Malaprops“, war mir klar, warum. Es bietet alles, was man sich von einem guten Geschäft wünscht: Platz, gut ausgebildetes Personal, spürbare Begeisterung für das Produkt, Qualität in allen Bereichen und ruhige Ecken, um die Zeit zu vergessen. Vor ca. 30 Jahren von einer ungarischen Immigrantin gegründet, ist es heute ein mehrsprachiger Treffpunkt von Alt und Jung, die dieses Geschäft offensichtlich als erweitertes Wohnzimmer betrachten.
Ich fand dort Bücher, von denen ich nicht gewusst hatte, wie sehr sie mir gefehlt haben und bekam eine Menge Denkanstöße für die folgenden Tage, die wir in den Smoky Mountains verbrachten.
Das Museum der Cherokee ist jeden Besuch wert. Allerdings muss die Fahrt durchs Tal während der Hochsaison eine Qual sein: ein Tinneff-Laden neben dem anderen, voll mit pseudo indianischem Schmuck made in China; armseliger Glitter, der plötzlich Wolkenkratzern weicht, 4-Sterne Hotels aller wichtigen Ketten rund um das Kasino herum. Hat man das alles hinter sich gebracht, ist es nicht mehr weit zum Museum, das die Geschichte der Cherokees wunderbar spannend und umfassend präsentiert. Dahinter geht es in den Nationalpark. Selbst in diesem so trockenen Jahr, das die Feuer so lange ermöglichte und den Rauch über mehrere Bundesstaaten hinweg unangenehm spürbar werden ließ, waren die Berge faszinierend.
Aus den rotgoldenen Wäldern mit ihren Karibuherden verschlug es uns zwei in Richtung Süden zum Antebellum Trail. Die Berge wurden Hügel, die Hügel verschliffen sich zu Wellen, die Appalachen blieben hinter uns.
Natürlich war meine Vorstellung von Plantagen und Gutsbesitzerstädtchen geprägt von Büchern und Filmen. Mit den Ländereien in Europa kann man es überhaupt nicht vergleichen. Mitten im endlosen Grün, in dem immer wieder armseligen Hütten auftauchten, reihten sich hübsche Stadtchen aneinander, jetzt verbunden von Highways. Damals, zu Beginn der Sklavenzeit, waren die Siedlungen von innovativen Bauern geplant und errichtet worden.
Madison ist ein entzückendes Beispiel für diese Ansammlung von Stadthäusern, Geschäften, Kirchen. Am Rande standen die Hütten der schwarzen Schattengesellschaft; die Freigelassenen lebten zwar frei und von ihrer Arbeit, aber sie waren keine gleichberechtigten Mitglieder der Gemeinschaft. In Madison wurde eines dieser Häuser erhalten und ebenfalls in ein Museum umgewandelt.
Dies ist die Gegend, in der Alice Walker ihren großartigenRoman „Die Farbe Lila“ ansiedelte. Dies ist die Gegend, in der Flannery O'Connor ihre Figuren leben und leiden ließ. (Ihr Geburtshaus steht übrigens in Savannah an einem der entzückenden vielen Plätze dieser Stadt, ein schmales, karg wirkendes Haus).
Wie eine Plantage aufgebaut war, erfuhr ich später ion Charleston in der „Boone's Plantation“, die, liebevoll restauriert, immer noch als landwirtschaftlicher Betrieb funktioniert und deren Jahrhunderte alte Eichenallee aus einigen Hollywoodfilmen bekannt ist. Natürlich wird man in South Carolina und Georgia überall an „Onkel Tom's Hütte“ erinnert – und die Schatten der Vergangenheit sind noch in vielen Winkeln zu sehen.
Allerdings hat es auch eine neue Geschichte geschafft, dass sich gleich zwei Städte um den so wenig einem Helden entsprechenden Forrest Gump streiten. Es ist schon komisch, nicht nur Scarlett O'Hara, Onkel Tom, sondern auch Bubba, Jenny und Forrest – oder zumindest ihren Häusern, Arbeitsplätzen, Hinterlassenschaften zu begegnen! Und alle sind sie erfundene Figuren in unserer Wirklichkeit, denen wir Platz einräumen, weil wir sie lieben lernten.
Ich bin nun auf dem Weg nach Florida, um mich nicht nur mit Naturschönheiten, sondern auch den Geschichten rund um Cape Canaveral zu beschäftigen.
Ich werde Freunde wiedersehen, neue Bücher lesen Geschichtgen hören, aus einem Land, das von Engländern und Spaniern fast gleichermaßen beeinflusst wurde. Weihnachten feiern wir wieder daheim in Wien.
Und dann werde ich von den Romanen erzählen, die ich hier gefunden habe und die es schon ins Deutsche übersetzt gibt. Ein gewisser USA-Schwerpunkt wird also noch ein paar Monate in meinen Einträgen der „VORLESER“ zu bemerken sein!
Bis dahin ein frohes Fest, Zeit füreinander und Freunde, die euch ins Neue Jahr begleiten.
Beatrix
Ach ich bin richtig neidisch auf deinen Roadtrip. Die Atlantikküste scheint ja wirklich wunderschön. Da muss ich auch mal hin:) Ich bin gespannt auf Florida!
AntwortenLöschenLiebste Grüße an euch drei,
Sonja von https://searchingforkitsch.blogspot.de/
liebe Sonja,
AntwortenLöschenFlorida hat mich, bis auf wenige Orte (Häuser oder Museen oder verschwiegene Sumpfflüsse relativ wenig begeistert, was sicher daran liegt, dass ich Ebenen nicht wirklich mag und so umwerfende Strände auf anderen Kontinenten erlebt habe, dass Florida da einfach nicht mitkann. Die Golfseite ist definitiv interessanter als die Ostküste. Alles Liebe, fröhliche Weihnachten und viele Bücher zum Lesen! B.