Liebe Bücherfreaks,
Ich muss meine ausgedehnte Reise in die erfundenen Welten amerikanischer Kolleginnen kurz unterbrechen. Heute stelle ich euch zwei sehr unterschiedliche Bücher zum Thema Gewalt vor, eines aus Österreich, eines aus Deutschland. Beide sind keine Krimis, zumindest keine herkömmlichen. Sind sie Thriller? Sie sind jedenfalls etwas Neues – und vom Sprachlichen her ebenfalls spannend.
Georg Elterlein: Sprache der Krähen
Roman, Picus Verlag 2016,
246 S., geb., 22 €,
auch als e-book erhältlich
Ich habe von Georg schon den ersten Roman „Der Orangenhain“ gelesen und war begeistert, weil da eine neue, sehr spezielle Stimme aus Österreich zu hören ist. Nun ist dieser Erzähler gereifter, sein Stil noch originärer. Und wieder geht es um einen Außenseiter, einen Einzelkämpfer, einen harten Mann, einen, wie ihn die wenigsten in der Familie finden.
Der Schlosser Leonard ist ein schweigsamer Typ, lässt niemanden wirklich an sich heran, behält seine Söldnervergangenheit wie seine Zuneigung zu seinem toten Lehrherrn für sich, obwohl es da den guten Nachbarn Murat gäbe, der sich als Freund erweisen wird. Von Leonards Familie oder gar seinen verbrecherischen Nebeneinkünften weiß niemand etwas, bis auf die dubiosen Partner, die ihn bald unter Druck setzen werden.
Nein, es ist kein Krimi, auf jeden Fall kein herkömmlicher.
Es ist – und das ist das Verblüffende in diesem Roman über Einsamkeit und Gewalt und Verbrechen, die Entstehungsgeschichte einer großen und selbstlosen Liebe, die noch dazu einem Menschen passiert, bei dem man sich das gar nicht vorstellen kann oder möchte. Der Titel hat mit dem Lieblingsvogel Leonards zu tun, eine Zuneigung, die sein plötzlich verwaister Neffe Erik teilt und die zu einem Anker der Hoffnung wird. Erik bricht unfreiwillig und unwissentlich in Leonards Welt. Ein Sozialarbeiter meldet sich beim wortkargen Schlosser, um ihm von dem Unfall zu berichten, der Leonards Bruder Max und dessen Frau das Leben kostete und Erik verwundete. Wie sehr und auf welche Art sei hier nicht verraten. Was soll Leonard mit diesem Kind? Noch dazu, wo ein wirklich wichtiger Coup bevorsteht und er ahnt, dass er aufpassen muss; denn seine Hehlerin scheint eigene Pläne zu verfolgen. Ein Kind ist das Letzte, womit er belastet werden möchte. Aber da gibt es Erinnerungen, da gibt es eine traurige eigene Geschichte aus seiner Jugend mit Max, da gibt es das Leben eines Söldners und die Verluste die es ihm gebracht hat.
In seiner unvergleichlich kompakten und verdichteten Sprache erzählt Georg Elterlein über diese Lebensveränderung wider Willen, von Zärtlichkeit und Vertrauen in einer Welt der Gewalt. Die Sprachlosigkeit seiner Helden beschreibt er in einer akkurat kantigen schnörkellosen Stimme, die sich schon in seinem Roman „Der Orangenhain“ ankündigte und nun perfekt Härte, Brutalität und gleichzeitige zaghafte Weichheit präsentiert.
Es ist eine ungewöhnliche Geschichte, ungewöhnlich erzählt. Ein Buch für Männer und Frauen und alle, die ungewöhnliche Geschichten, die extrem gut erzählt werden, lieben. Kein Wunder, dass das Buch Furore macht und bereits auch im englischen Sprachraum besprochen wird. Selten wurde ein verstörender und gefährlicher Charakter so überzeugend zur Trägerfigur eines literarischen Juwels gemacht.
Der zweite Roman, der sich mit Gewalt in extremer, auch erzählerischer Form auseinandersetzt, ist gerade druckfrisch und neu auf allen Büchertischen:
Marina Heib: Drei Meter unter Null
Roman, Heyne encore 2017,
geb., 256 Seiten
Marina Heib lebt und arbeitet in Hamburg als Drehbuchautorin und Schriftstellerin. Mehrere Krimis, die bei Piper erschienen, gehen auf ihr Konto.
Nun wagte sie etwas Neues. Ihr ging es zwar wieder um die Darstellung von menschlicher Gewalt, um Hintergründe und psychische Abgründe. Aber diesmal wollte sie nicht nur eine besondere Figur in einem besonderen Umfeld und mit einem ganz bestimmten Dilemma erschaffen, sondern auch eine Erzählstimme, die über die Art des Erzählens transportiert, was sich eigentlich in Kopf und Herz der Heldin abspielt. Es ist eine junge Frau, der, von außen besehen, doch eigentlich die Welt offen stehen müsste. Gebildet, hübsch, beruflich erfolgreich – und doch stimmt gar nichts. Denn etwas ist passiert, etwas hat sie an den Rand der Gesellschaft katapultiert, etwas hat sie zur Außenseiterin gemacht, solange sie denken kann – und ihre Erinnerungen reichen zurück bis in ihre Kindheit, ins dritte Lebensjahr. Oder doch noch weiter? Sie hatte liebende Eltern, fürsorglich, vorausschauend. Sie hatte das Glück der späten Geburt, die Mauer fällt, als sie acht Jahre alt ist – und das ist offensichtlich für alle drei, Vater, Mutter, Kind, nur gut. Und doch wird sie als erfolgreiche Erwachsene zur Mörderin. Zu einer ganz Speziellen. Mehr möchte ich gar nicht verraten, denn die stringent gehaltene Geschichte fängt ohnedies schon mit der letzten Vorbereitung für eine erste Hinrichtung an.
Marina Heib lässt uns daran teilhaben, wir begleiten die Heldin, die kein Blatt vor den Mund nimmt, die erklärt (kurz und portioniert, in einem rasanten Tempo, das nur langsamer wird, wenn Erinnerungen aus der Kindheit aufflackern oder die Dankbarkeit dem Trainer gegenüber spürbar wird, der sie schmerzhaft, aber gründlich in das Tötungshandwerk eingeführt hat.) Sie beobachtet, sie ist dem Schönen nicht abgeneigt. Aber das, was ihr gefällt, sie bewegt, sie ausmacht, ist offensichtlich etwas nicht Übliches, etwas, das ihr selbst Angst macht. Dass es uns LeserInnen trotz des Grusels neugierig bleiben lässt, liegt an der Art, wie Marina Heib erzählt und welche Perspektive sie gewählt hat. Ich behaupte, sie ist auf dem besten Weg zu zeigen, dass der Thriller mehr als perfekte Spannung sein, dass er auch literarisch Neues bieten kann. Marina Heib ist dabei, das Genre zu erweitern.
Bis demnächst wieder! Mein eigener Roman ist fertig und wird noch dieses Jahr erscheinen; der nächste wird gerade konzipiert und wird mich wohl zu vielen Buchkäufen verleiten. Doch davon bald.....
Ich muss meine ausgedehnte Reise in die erfundenen Welten amerikanischer Kolleginnen kurz unterbrechen. Heute stelle ich euch zwei sehr unterschiedliche Bücher zum Thema Gewalt vor, eines aus Österreich, eines aus Deutschland. Beide sind keine Krimis, zumindest keine herkömmlichen. Sind sie Thriller? Sie sind jedenfalls etwas Neues – und vom Sprachlichen her ebenfalls spannend.
Georg Elterlein: Sprache der Krähen
Roman, Picus Verlag 2016,
246 S., geb., 22 €,
auch als e-book erhältlich
Ich habe von Georg schon den ersten Roman „Der Orangenhain“ gelesen und war begeistert, weil da eine neue, sehr spezielle Stimme aus Österreich zu hören ist. Nun ist dieser Erzähler gereifter, sein Stil noch originärer. Und wieder geht es um einen Außenseiter, einen Einzelkämpfer, einen harten Mann, einen, wie ihn die wenigsten in der Familie finden.
Der Schlosser Leonard ist ein schweigsamer Typ, lässt niemanden wirklich an sich heran, behält seine Söldnervergangenheit wie seine Zuneigung zu seinem toten Lehrherrn für sich, obwohl es da den guten Nachbarn Murat gäbe, der sich als Freund erweisen wird. Von Leonards Familie oder gar seinen verbrecherischen Nebeneinkünften weiß niemand etwas, bis auf die dubiosen Partner, die ihn bald unter Druck setzen werden.
Nein, es ist kein Krimi, auf jeden Fall kein herkömmlicher.
Es ist – und das ist das Verblüffende in diesem Roman über Einsamkeit und Gewalt und Verbrechen, die Entstehungsgeschichte einer großen und selbstlosen Liebe, die noch dazu einem Menschen passiert, bei dem man sich das gar nicht vorstellen kann oder möchte. Der Titel hat mit dem Lieblingsvogel Leonards zu tun, eine Zuneigung, die sein plötzlich verwaister Neffe Erik teilt und die zu einem Anker der Hoffnung wird. Erik bricht unfreiwillig und unwissentlich in Leonards Welt. Ein Sozialarbeiter meldet sich beim wortkargen Schlosser, um ihm von dem Unfall zu berichten, der Leonards Bruder Max und dessen Frau das Leben kostete und Erik verwundete. Wie sehr und auf welche Art sei hier nicht verraten. Was soll Leonard mit diesem Kind? Noch dazu, wo ein wirklich wichtiger Coup bevorsteht und er ahnt, dass er aufpassen muss; denn seine Hehlerin scheint eigene Pläne zu verfolgen. Ein Kind ist das Letzte, womit er belastet werden möchte. Aber da gibt es Erinnerungen, da gibt es eine traurige eigene Geschichte aus seiner Jugend mit Max, da gibt es das Leben eines Söldners und die Verluste die es ihm gebracht hat.
In seiner unvergleichlich kompakten und verdichteten Sprache erzählt Georg Elterlein über diese Lebensveränderung wider Willen, von Zärtlichkeit und Vertrauen in einer Welt der Gewalt. Die Sprachlosigkeit seiner Helden beschreibt er in einer akkurat kantigen schnörkellosen Stimme, die sich schon in seinem Roman „Der Orangenhain“ ankündigte und nun perfekt Härte, Brutalität und gleichzeitige zaghafte Weichheit präsentiert.
Es ist eine ungewöhnliche Geschichte, ungewöhnlich erzählt. Ein Buch für Männer und Frauen und alle, die ungewöhnliche Geschichten, die extrem gut erzählt werden, lieben. Kein Wunder, dass das Buch Furore macht und bereits auch im englischen Sprachraum besprochen wird. Selten wurde ein verstörender und gefährlicher Charakter so überzeugend zur Trägerfigur eines literarischen Juwels gemacht.
Der zweite Roman, der sich mit Gewalt in extremer, auch erzählerischer Form auseinandersetzt, ist gerade druckfrisch und neu auf allen Büchertischen:
©https://www.randomhouse.de/Buch/Drei-Meter-unter-Null/Marina-Heib/Heyne-Encore/e514050.rhd
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Marina Heib: Drei Meter unter Null
Roman, Heyne encore 2017,
geb., 256 Seiten
Marina Heib lebt und arbeitet in Hamburg als Drehbuchautorin und Schriftstellerin. Mehrere Krimis, die bei Piper erschienen, gehen auf ihr Konto.
Nun wagte sie etwas Neues. Ihr ging es zwar wieder um die Darstellung von menschlicher Gewalt, um Hintergründe und psychische Abgründe. Aber diesmal wollte sie nicht nur eine besondere Figur in einem besonderen Umfeld und mit einem ganz bestimmten Dilemma erschaffen, sondern auch eine Erzählstimme, die über die Art des Erzählens transportiert, was sich eigentlich in Kopf und Herz der Heldin abspielt. Es ist eine junge Frau, der, von außen besehen, doch eigentlich die Welt offen stehen müsste. Gebildet, hübsch, beruflich erfolgreich – und doch stimmt gar nichts. Denn etwas ist passiert, etwas hat sie an den Rand der Gesellschaft katapultiert, etwas hat sie zur Außenseiterin gemacht, solange sie denken kann – und ihre Erinnerungen reichen zurück bis in ihre Kindheit, ins dritte Lebensjahr. Oder doch noch weiter? Sie hatte liebende Eltern, fürsorglich, vorausschauend. Sie hatte das Glück der späten Geburt, die Mauer fällt, als sie acht Jahre alt ist – und das ist offensichtlich für alle drei, Vater, Mutter, Kind, nur gut. Und doch wird sie als erfolgreiche Erwachsene zur Mörderin. Zu einer ganz Speziellen. Mehr möchte ich gar nicht verraten, denn die stringent gehaltene Geschichte fängt ohnedies schon mit der letzten Vorbereitung für eine erste Hinrichtung an.
Marina Heib lässt uns daran teilhaben, wir begleiten die Heldin, die kein Blatt vor den Mund nimmt, die erklärt (kurz und portioniert, in einem rasanten Tempo, das nur langsamer wird, wenn Erinnerungen aus der Kindheit aufflackern oder die Dankbarkeit dem Trainer gegenüber spürbar wird, der sie schmerzhaft, aber gründlich in das Tötungshandwerk eingeführt hat.) Sie beobachtet, sie ist dem Schönen nicht abgeneigt. Aber das, was ihr gefällt, sie bewegt, sie ausmacht, ist offensichtlich etwas nicht Übliches, etwas, das ihr selbst Angst macht. Dass es uns LeserInnen trotz des Grusels neugierig bleiben lässt, liegt an der Art, wie Marina Heib erzählt und welche Perspektive sie gewählt hat. Ich behaupte, sie ist auf dem besten Weg zu zeigen, dass der Thriller mehr als perfekte Spannung sein, dass er auch literarisch Neues bieten kann. Marina Heib ist dabei, das Genre zu erweitern.
Bis demnächst wieder! Mein eigener Roman ist fertig und wird noch dieses Jahr erscheinen; der nächste wird gerade konzipiert und wird mich wohl zu vielen Buchkäufen verleiten. Doch davon bald.....
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