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Dostojewski & Ich

Hallo, ihr lieben Buchwürmer!

seit einiger Zeit bin ich von einem "russischen Fieber" gepackt. Den Wunsch, eines Tages nach St. Petersburg und Moskau zu fahren, habe ich schon länger. Doch seit diesem Semester lerne ich auch noch Russisch! Mein Lernfortschritt beschränkt sich zur Zeit noch auf Guten Tag, Wie heißt du?, Wo lebst du? und die Zahlen von 1 bis 30, aber ich lerne natürlich fleißig weiter. Vor allem die Aussprache macht mir ein wenig zu schaffen, da ich irgendwie automatisch alles Französisch aussprechen will. Aber vorrangig lerne ich Russisch, um die Klassiker des Landes später einmal in der Originalsprache lesen zu können. Doch bis dahin vergeht bestimmt noch sehr viel Zeit und unzählige Russischstunden.
Da ich so lange nicht warten kann, habe ich mit dem ersten "Nationalhelden" Dostojewski begonnen und zwei seiner Romane auf Deutsch gelesen. Über dieses Entscheidung bin ich sehr froh, da ich einfach nur von hingerissen war:


Fjodor M. Dostojewski: Der Spieler 
Roman // Original: Igrok // 1876
Goldmann Verlag // 200 Seiten // Taschenbuch 

Dieses Exemplar von Der Spieler fand ich als ich bei meiner Großmutter in den alten Büchern meiner Eltern gestöbert hatte. Sobald ich den Roman in der Hand hielt, war ich verliebt. Der Protagonist Alexei Iwanowitsch, von dem ich die ersten 40 Seiten nicht mal den Namen wusste, nimmt sich selbst und die Leute um ihn herum nicht zu ernst. Er macht sich einen Spaß daraus, sein Umfeld zu zu verwirren und zu verärgern. Was natürlich bei einem guten Roman nicht fehlen darf, ist eine kleine Liebesgeschichte und so hat der Protagonist sich als "Herzensdame" sich ausgerechnet die Stieftochter des Generals, seines Arbeitgebers, Pauline ausgesucht. Diese verhöhnt Alexei jedoch gerne für seine Liebe zu ihr. Da sie in Geldnöten ist, bittet sie Alexei, den Spieler, für sie in die Spielhallen zu gehen.
Die große Masse spielt tatsächlich in sehr schmutziger Weise. Ich bin sogar durchaus nicht abgeneigt anzunehmen, dass dort, an diesen Tischen, eine ganz andere Reihe gemeinster Diebstähle vor sich geht. Die Croupiers, die an beiden Enden des Tisches sitzen, auf die Einsätze achten und die Auszahlungen machen, haben furchtbar viel zu tun. Das ist einmal ein Gesindel! Größtenteils sind das Franzosen. Ich mache übrigens hier meine Beobachtungen und Bemerkungen durchaus nicht deshalb, um das Roulettspiel zu beschreiben, ich passe mich nur innerlich an, um zu wissen, wie ich mich in Zukunft zu benehmen habe.

Neben den Sorgen, die der Spieler aufgrund Paulines abweisender Art hat, versucht er die merkwürdigen Verstrickungen seines Umfelds aufzudecken. Der General wartet ungeduldig darauf, dass die alte Großmutter verstirbt, um mit seinem Erbe den Franzosen auszuzahlen und Madame Blanche zu heiraten. Doch woher kennt der gutmütige Engländer den Franzosen und seine Begleitung und was für Absichten hegt er für Pauline? Als die Großmutter plötzlich kerngesund und garstig wie eh und je in Roulettenburg auftaucht, ist das Chaos vorprogrammiert. Denn diese hat sich in den Kopf gesetzt, dem General unter keinen Umständen etwas zu hinterlassen und wenn sie schon ein Mal in Roulettenburg ist, könnte auch sie eine Spielhalle betreten und selbst ihr Glück versuchen.


Fjodor M. Dostojewski: Weiße Nächte. Eine Liebesgeschichte.
Novelle // Original: Белые ночи, Belye noči // 1848 
Insel Verlag // 2011 // Aus dem Russischen von Hermann Röhl
109 Seiten // 6,00  Euro // Taschenbuch

In weiße Nächte trifft der Icherzähler - ein selbsterklärter Träumer, der sich der Phantasie verschrieben hat - auf die hübsche Nastenka, in die er sich so gleich unsterblich verliebt. Zuvor zu schüchtern, um überhaupt Frauen anzusprechen, hilft er Nastenka den Mann, in den sie sich vor einem Jahr verliebt hat und der nun nach St. Petersburg zurückgekehrt ist, zu kontaktieren. Obwohl er ihr sein Wort gegeben hatte, dass er sich nicht in Nastenka verlieben würde, kann er seinen Gefühlen keinen Einhalt gebieten. Als der Mann, an den Nastenka ihr Herz verloren hat, nicht auf ihre versuchen ihn zu erreichen, reagiert, will Nastenka sich von ihrer Liebe zu ihm lossagen.
Mit Ausrufen wie "Ach wäre er nur so wie Sie!" feuert Nastenka die Liebe des selbsterklärten Träumers noch mehr an, wobei sie im Glauben ist, dass sie nur eine innige Freundschaft verbindet. Der Icherzähler ergreift den Augenblick, um Nastenka seine Gefühle zu offenbaren. Wiedererwartend geht Nastenka auf seine Liebe ein und erklärt, dass auch sie, sobald sie sich entliebt habe, seine Gefühle erwidern würde und dies ja auch bereits tue "Ich liebe Sie so, wie Sie mich lieben; ich selbst habe es Ihnen doch schon das vorige Mal gesagt, und Sie haben es selbst gehört: Ich liebe Sie, weil Sie besser sind als er, weil Sie eine edlere Gesinnung haben als er, und weil, weil er…"
Sie planen bereits ihre Zukunft und vereinbaren, dass der Icherzähler gleich am nächsten Tag in die Mietwohnung von Nastenkas Großmutter einziehen soll. Doch plötzlich begegnet ihnen ein Mann, der sich tatsächlich als der Auserwählte Nastenkas entpuppt, und Nastenka verlässt unseren Träumer mit einem Kuss.


Auch wenn beide Romane mit Seiten und Seiten eher zu den kürzeren Büchern gehören, erschafft Dostojewski jeweils eine ausgefeilte Realität für den Leser. Sein Schreibstil ist mitreißend und verzauberte mit den ersten Zeilen. Dostojewski haucht einer, dem heutigen Leser fern erscheinender, Zeit Leben ein, in der ich mich gerne bewegt habe. Sobald ich die Bücher aufgeschlagen habe, konnte ich mich im Augenblick des Lesens komplett meiner Umgebung entziehen und war in der Welt Dostojewskis. Das liegt unter anderem daran, dass der russische Schriftsteller mit viel Witz und Leichtigkeit schreibt, dass einem das Herz leichter wird und man einfach Lächeln muss.

"Auch die Häuser sind mit bekannt. Wenn ich so einhergehe, kommt gleichsam jedes auf der Straße auf mich zugelaufen, sieht mich an mit allen seinen Fenstern wie mit Augen und sagt ordentlich: „Guten Tag; wie befinden Sie sich? Ich meinerseits bin, Gott sei Dank, gesund, und im Mai bekomme ich noch eine neue Etage aufgesetzt.“ Oder: „Wie geht es Ihnen? Mich fängt man morgen Anzug reparieren.“ Oder: „Ich wäre beinah abgebrannt und habe dabei einen gewaltigen Schreck bekommen“ und so weiter." ~ Weiße Nächte.



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