Roman // Originaltitel: Légende // 2016
Unionsverlag // DE 2019 // Aus dem Französischen von Claudia Kalscheuer
Gebunden // 256 Seiten // 22,00 Euro
Nell ist Fotograf und macht seine Bilder am liebsten von der Hebeeinrichtung seines Autos in 25 Metern Höhe aus. Bestimmt schon hundertmal hat er die Steinlandschaft der Crau fotografiert, diese vergessene, vernachlässigte, arme Seite mitten in der Provence in der Nähe von Arles. Im Winter weiden die Schafe in der Crau, wenn sie nach dem Sommer aus den Alpen zurückkommen.
Nells Freund ist der Engländer Matt, der schon viele Berufe ausgeübt hat, jetzt Toiletten verkauft, und seit einiger Zeit auch Dokumentarfilme dreht. Nell und Matt lieben die gleichen Orte und in einem von Matts Filmen kommt auch die Crau vor. Zur Zeit interessiert sich Matt für eine ehemalige Diskothek inmitten eines Pinienwalds, die Churascaia, genannt Chu, in der Nell noch tanzen war.
In diesem Nachtlokal, vor dem Hintergrund der Camargue, Stieren und Salzseen, hat alles Platz gefunden: die fröhliche Ausgelassenheit der Sechzigerjahre, die Rebellion der Siebziger, die Paletten der Achtziger, Drogen, Aids, die ersten DJs, die Krise der Neunzigerjahre. Und sogar die trostlose Schaumschlägerei der 2010er Jahre, Elektro-Musik, Reality-TV-Stars an den Plattentellern, eine Lautstärke, dass die Grillen einen Herzinfarkt kriegen, zwanzig Euro Eintritt und zehn Euro das Getränk.
Von diesem Ort will Matt in seinem Film erzählen und dabei sucht er die Hilfe des Designers Toussaint. Toussaint und sein Jugendfreund Fabien haben miterlebt wie sich die Chu entwickelt hat und sie besuchten die Chu auch später noch jedes Jahr zu Fabiens Geburtstag. Toussaint erzählt Matt Fabiens Lebensgeschichte und die seiner Clique. Fabien war der Wilde, der Fantasievolle, der entschlossen war seine Lebensphilosophie aus radikaler Freiheit und absoluter Kompromissverweigerung durchzuziehen: Hass auf Halbheiten, halbe Freundschaften, halbe Bettgeschichten.
Toussaint erzählt aber auch von Fabiens Rivalen, seinem Bruder, dem Rowdy Christian: Immer gewaltbereit, Alkohol und Drogen liebend. Wie Christian mit seinem Vater in Madagaskar auf Insekten- und Schmetterlingsfang ging und sie in die ganze Welt verkaufte. Und nun will Matt einen Film über die unterschiedlichen Brüder machen, noch dazu diese Legenden Nells Cousins sind.
Wie schon in Ein Lied für Dulce gelingt es Sylvain Prudhomme auch diesmal wieder hervorragend ein ganz besonders Lebensgefühl darstellen:
Die Art Mythos, vor der sich vierzig Jahre später allesamt verneigten. Und wie sie paradoxerweise immer wieder betonten, dass es damals niemanden bewusst war. Dass alles genau daran hing: an dem vollkommenen kollektiven Fehlen von Bewusstsein dessen, was vor sich ging. An der Abwesenheit jeder anderer Aufgabe als der, sich mit den anderen zu amüsieren, egal, woher sie kamen, wie alt sie waren, ob sie einen Beruf hatten oder nicht, ob sie berühmt waren oder völlig anonym.
Legenden ist ein schönes, poetisches und manchmal hartes Buch mit einem eigenen französischen Erzählstil.
Wir danken dem Unionsverlag für das Rezensionsexemplar.
Unionsverlag // DE 2019 // Aus dem Französischen von Claudia Kalscheuer
Gebunden // 256 Seiten // 22,00 Euro
Nell ist Fotograf und macht seine Bilder am liebsten von der Hebeeinrichtung seines Autos in 25 Metern Höhe aus. Bestimmt schon hundertmal hat er die Steinlandschaft der Crau fotografiert, diese vergessene, vernachlässigte, arme Seite mitten in der Provence in der Nähe von Arles. Im Winter weiden die Schafe in der Crau, wenn sie nach dem Sommer aus den Alpen zurückkommen.
Nells Freund ist der Engländer Matt, der schon viele Berufe ausgeübt hat, jetzt Toiletten verkauft, und seit einiger Zeit auch Dokumentarfilme dreht. Nell und Matt lieben die gleichen Orte und in einem von Matts Filmen kommt auch die Crau vor. Zur Zeit interessiert sich Matt für eine ehemalige Diskothek inmitten eines Pinienwalds, die Churascaia, genannt Chu, in der Nell noch tanzen war.
In diesem Nachtlokal, vor dem Hintergrund der Camargue, Stieren und Salzseen, hat alles Platz gefunden: die fröhliche Ausgelassenheit der Sechzigerjahre, die Rebellion der Siebziger, die Paletten der Achtziger, Drogen, Aids, die ersten DJs, die Krise der Neunzigerjahre. Und sogar die trostlose Schaumschlägerei der 2010er Jahre, Elektro-Musik, Reality-TV-Stars an den Plattentellern, eine Lautstärke, dass die Grillen einen Herzinfarkt kriegen, zwanzig Euro Eintritt und zehn Euro das Getränk.
Von diesem Ort will Matt in seinem Film erzählen und dabei sucht er die Hilfe des Designers Toussaint. Toussaint und sein Jugendfreund Fabien haben miterlebt wie sich die Chu entwickelt hat und sie besuchten die Chu auch später noch jedes Jahr zu Fabiens Geburtstag. Toussaint erzählt Matt Fabiens Lebensgeschichte und die seiner Clique. Fabien war der Wilde, der Fantasievolle, der entschlossen war seine Lebensphilosophie aus radikaler Freiheit und absoluter Kompromissverweigerung durchzuziehen: Hass auf Halbheiten, halbe Freundschaften, halbe Bettgeschichten.
Toussaint erzählt aber auch von Fabiens Rivalen, seinem Bruder, dem Rowdy Christian: Immer gewaltbereit, Alkohol und Drogen liebend. Wie Christian mit seinem Vater in Madagaskar auf Insekten- und Schmetterlingsfang ging und sie in die ganze Welt verkaufte. Und nun will Matt einen Film über die unterschiedlichen Brüder machen, noch dazu diese Legenden Nells Cousins sind.
Wie schon in Ein Lied für Dulce gelingt es Sylvain Prudhomme auch diesmal wieder hervorragend ein ganz besonders Lebensgefühl darstellen:
Die Art Mythos, vor der sich vierzig Jahre später allesamt verneigten. Und wie sie paradoxerweise immer wieder betonten, dass es damals niemanden bewusst war. Dass alles genau daran hing: an dem vollkommenen kollektiven Fehlen von Bewusstsein dessen, was vor sich ging. An der Abwesenheit jeder anderer Aufgabe als der, sich mit den anderen zu amüsieren, egal, woher sie kamen, wie alt sie waren, ob sie einen Beruf hatten oder nicht, ob sie berühmt waren oder völlig anonym.
Legenden ist ein schönes, poetisches und manchmal hartes Buch mit einem eigenen französischen Erzählstil.
Wir danken dem Unionsverlag für das Rezensionsexemplar.
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