Schon seit einiger Zeit stand die Geheime Geschichte von Donna Tartt auf meiner Leseliste. Der 736 seitige Roman ist 1992 erschienen und hat es keine 15 Jahre später in die Penguin Classics geschafft. Nachdem ich mir das Buch zu Weihnachten gewünscht hatte, habe ich die Zeit zwischen den Jahren genutzt und es sofort gelesen:
Donna Tartt: Die Geheime Geschichte
Roman // Original: The Secret History (1992)
Goldmann Verlag // 2017 (7. Auflage) // aus dem Amerikanischen von Rainer Schmidt
736 Seiten // 13,00 Euro // Paperback
"Ich nehme an, es gab eine Zeit in meinem Leben, da hätte ich eine beliebige Anzahl von Geschichten gewusst, aber jetzt gibt es keine andere mehr. Dies ist die einzige Geschichte, die ich je werde erzählen können."
Die Geheime Geschichte wird aus der Sicht des College Studenten Richard Papen erzählt. Er entflieht dem öden, durchschnittlichen Kleinstadtleben in Kalifornien als er am Hamden College in Vermont ein Stipendium erhält. Dort ist er sofort von dem Professor Julian Morrrow fasziniert, der nur eine kleine Zahl von Studenten jährlich in die mystische Welt des Altgriechischen einführt. Seine Studenten bilden eine kleine elitäre Gruppe, die vom Rest des Colleges abgeschieden sind und nahezu alle ihre Kurse bei Julian belegen. Unter ihnen sind: die Zwillinge Camilla und Charles, Henry, Francis, Bunny und Richard selbst.
Bereits im Prolog offenbart Richard die Pointe seiner geheimen Geschichte: die Freunde werden Bunny von einem Wanderweg stoßen und töten.
Ich habe das Buch auf Deutsch gelesen, weshalb der Ausdruck und die Erzählweise nicht nur das alleinige Werk von Donna Tartt sind und ich auch den grandiosen Übersetzer Rainer Schmidt hervorheben möchte. Denn während des Lesens hatte ich das Gefühl, dass es kein Wort zu viel gibt. Die gesamte Geschichte ist eine perfekte Komposition und die Erzählweise und der Schreibstil haben mich absolut in ihren Bann gezogen. Jede Beschreibung war ein reinster Lesegenuss und gerade die Darstellungen der anderen Studenten haben mir unglaublich gut gefallen. Hier ein kleiner Ausschnitt von einer Begegnung mit den Zwillingen:
"Sie sahen heute besonders engelhaft aus; ihr blondes Haar war vom Wind zerzaust, und beide trugen weiße Tennispullover und Tennisschuhe. Ich wusste nicht genau, warum sie mich heruntergerufen hatten. Sie waren zwar durchaus höflich, aber sie wirkten wachsam und ein wenig verwirrt, als käme ich aus irgendeinem Land mit ungewohnten und exzentrischen Sitten, sodass sie große Vorsicht walten lassen mussten, um mich nicht zu erschrecken oder zu beleidigen."
Altgriechisches Studium in kleinem Kreis
Ein weiteres Highlight ist natürlich auch das gesamte Setting: eine handverlesene Gruppe von Schülern, die sich zusammenfindet, um Altgriechisch zu studieren. Wer möchte nicht ein Teil von ihnen sein? Meine Lieblingsszene des gesamten Buchs, die auch bei Social Media viel zitiert wird, ist die Unterrichtsstunde mit Julian. Leider beschreibt Donna Tartt nur eine einzige Unterrichtsstunde und ich hätte mir gerne noch ein wenig mehr davon gewünscht. Sie diskutieren über altgriechische Werke, Ästhetik, Schönheit und Wahnsinn. Man wünscht sich ein Nerd wie Henry zu sein, der Richard bei seiner ersten Begegnung damit traktiert, welche Klassiker er auf Griechisch studiert habe. Die Freunde unterhalten sich auf Altgriechisch miteinander, wenn sie von anderen nicht verstanden werden wollen. Dies alles hat schon etwas von einem elitären Geheimbund.
Das Buch ist in zwei Bücher unterteilt. In Buch Eins berichtet Richard von seiner Ankunft in Hamden und wie es zu dem gemeinsamen Mord kommt. Buch Zwei spielt nach Bunnys Tod und erzählt von der Suchaktion nach Bunny und dessen Beerdigung. Wie der Buchrücken schon verrät, bleibt der Mord der Gruppe unentdeckt, "doch das wahre Grauen steht ihnen erst noch bevor..." Dieser zweite Teil des Romans konnte mich leider nicht mehr so sehr überzeugen, wie der erste Teil. Denn was Tartt nun beschreibt, ist der Zerfall der Gruppe und wie jeder einzelne ein wenig seinem eigenen Wahnsinn verfällt.
Die Tortur, die sie durchlaufen, während sie zu Bunnys Beerdigung fahren, und Henry, der sich immer mehr in seine eigene Welt zurückzieht, waren für mich ein wenig zu viel. Die Freunde, die Richard zuvor auf ein Podest gestellt hat, fallen nun nacheinander von diesem und entpuppen sich als narzisstisch, unaufrichtig oder intrigant. Dabei scheint noch Francis am wenigsten zu zerfallen, was vielleicht auch daran liegt, dass Richard ihn zuvor am wenigsten verklärt hat.
Ich kann nachvollziehen, dass Tartt den Bruch nachzeichnet, der sich nach einem gemeinsam geplanten Mord auch zwischen den besten Freunden ereignet. Doch für mich wirkte dieses Schreckensereignis nicht unbedingt als Auslöser für den Twist der Gruppe. Im Nachhinein ist es für mich auch ein wenig unrealistisch, dass Henry, der zuvor der "Anführer" der Gruppe war, sie nun nach und nach ihrem eigenen Schicksal überlässt.
Im Gesamten ist Die Geheime Geschichte ein Roman, von dem ich sehr viel erwartet habe. Der erste Teil konnte meinen Erwartungen gerecht werden, der zweite Teil hingegen konnte mich leider nicht mehr so sehr begeistern.
"Gibt es - außer in der Literatur - wirklich so etwas wie den "Keim des Verderbens", diesen auffälligen dunklen Riss, der sich mitten durch ein Leben zieht? Ich dachte immer, es gebe ihn nicht. Jetzt denke ich, es gibt ihn doch. Und ich denke, bei mir ist es dies: das morbide Verlangen nach dem Pittoresken um jeden Preis.A moi. L'histoire d`une de mes folies."
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