Die Zeit zwischen zwei Büchern erscheint mir als Schriftstellerin zuerst immer so wunderbar lange, verheißungsvoll, weil ich zwar bereits begonnen habe, bestimmte Titel zu sammeln, die mir als Quellen und Hintergrundinfo für das neue Buch dienen könnten, aber es ist auch die Zeit, in der ich lustvoll in Buchläden stöbere, meine langen Wunschlisten geringfügig verkürze, lese aus reiner Neugier und ohne einen Gedanken an das vor mir liegende Projekt zu verschwenden. Lustig ist allerdings, welcher Prozentsatz offensichtlich von meinem Unterbewusstsein ausgesucht wird, denn natürlich führt ein Buch zum anderen und plötzlich bemerke ich, dass ich ja schon wieder in meinem neuen Thema stecke. So ging es mir in diesem Frühling, als ich noch in den letzten Korrekturarbeiten zum Roman steckte, der nächstes Jahr bei Hanser erscheinen wird, und das nächste Buch bereits konzipierte.
Ich las mich fest, entdeckte Neues, begeisterte mich wieder für Vertrautes und dazwischen ergaben sich noch Rezensionsaufträge.
Aus diesen habe ich zwei Titel für den kommenden Sommer ausgesucht, beide aus Österreich, beide aus Gegenden, die wunderbar zum Urlauben sind – und wenn man dazu nicht kommt, dann kann man wenigstens über spannende Bücher den Weg dorthin finden.
Ein Debüt aus dem Salzburgischen ist:
Mareike Fallwickl: Dunkelgrün fast schwarz
Roman // VFA // 2018
480 Seiten //
Die junge Texterin und Lektorin Fallwickl wohnt und arbeitet in Hallein, einer Salzstadt nahe Salzburg. Das Tal ist eng, der Ort liegt zu Füßen des markanten Dürrnbergs, der bereits in der Frühgeschichte besiedelt war und wo das Salz seit Jahrtausenden abgebaut wurde. Hallein inmitten der alten Kulturlandschaft im Schatten der Salzstollen, tiefe österreichische Provinz, ist der Ort, an dem das Böse offensichtlich ins Kraut schießt:
Die Farben dort waren düster und zerschlissen, bauschten sich zu Mündern, aus denen kein Ton kam.
Der Berg wird nicht nur als Kulisse verwendet, sondern auch als Inselmetapher für die Stadtmenschen oben auf dem Hang, die sich nie zugehörig fühlen werden. Weggehen oder dableiben ist immer ein Thema der Helden. Mareike Fallwickl hat ihre Umgebung genau studiert, hat sich darauf eingelassen, sie auf besondere Weise zur Bühne ihrer Familiengeschichte zu machen. Die Figurenkonstellation selbst ist nicht neu:
Zwei Freunde mit unterschiedlichen Charakteren wachsen miteinander auf, werden zum Missbehagen ihrer Mütter unzertrennlich, verlieben sich in dasselbe Mädchen. Es kommt zu Kränkungen, Verletzungen, Taten, die das Trio sprengen, und einem dramatischen Treffen Jahre später. Eine Geschichte, die man zu kennen meint.
Und trotzdem ist dieser Roman etwas Besonderes. Fallwickl arbeitet mit Farben, die Menschen zugeordnet werden, mit einem Helden, Moritz, der diese Farben auch sehen kann. Als Kind dechiffriert er natürlich nicht, später liebt er diese Gabe, noch viel später wird er sie vernachlässigen, um zur Ruhe zu kommen. Moritz ist ein schüchterner Knabe, seine Mutter Marie ist gerade von Wien ins Salzburger Land übersiedelt, vermisst den Mann, der seine medizinische Ausbildung beenden muss und vorhat, in Hallein zu ordinieren. Auf dem Spielplatz lernt Moritz den strahlenden Raffael kennen, dessen Mutter scheinbar ebenso alleingelassen lebt. Moritz ist von Raffael fasziniert. Enge Bande entwickeln sich, die Marie zunehmend Sorgen machen. Selbst die Geschwister der zwei Freunde bleiben ausgeschlossen und wollen, je älter die Buben werden, desto weniger mit ihnen zu tun haben.
Die Geschichte wird von drei Stimmen erzählt, der Mutter Marie, Moritz und der Freundin Johanna. Marie hat das Wesen Rafaels schnell erkannt, aber auch den Charme, die Intelligenz, die spielerische Leichtigkeit und später die erotische Anziehung des Knaben. Sie fürchtet ihn wie sie seinen Vater fürchtet. Johanna, die Klassenkameradin und erste Liebe von Moritz, ist ein einsames Opfer, das sich nur zu gerne in Abhängigkeiten verstrickt, Liebe mit Unterwerfung verwechselt, besessen davon, zur perfekten Partnerin zu mutieren. Moritz ist eine Mischung aus tumbem Tor und naivem Träumer, einer, der das Beste für alle will, der loyal ist und seinen eigenen Stärken und Talenten nicht wirklich traut. Das Aufeinandertreffen der Erwachsenen wird von Moritz, der mittlerweile in einer neuen Beziehung in Hallein lebt, und von Johanna, die aus Berlin anreist, als überraschende Wendung betrachtet. Doch Rafael scheint wieder Regie zu führen und Marie befürchtet das Schlimmste. Es geht in diesem Buch immer um Abhängigkeiten, um unterschiedliche Formen von Liebe. Wie die drei Erzähler ihre fatalen Situationen beschreiben ist fast immer bewegend und großartig gemacht. Am schwächsten ist für mich das Las-Vegas-Kapitel, in dem sämtliche Klischees vorgeführt werden und das man im Grunde hätte streichen können. Hörigkeit ist zum Beispiel von Zeruya Shalev so überragend beschrieben worden, dass Mareike Fallwickl besser beraten gewesen wäre, hier nur die Essenz darzustellen und nicht das Spielerparadies. Die Einsichten in Raffaels Charakter sind ohnehin deutlich und überzeugend.
Auf jeden Fall ist es eine spannend erzählte, erschreckende und berührende Geschichte mit Figuren, denen man willig in ihr Leben folgt. Mareike Fallwickls Debüt verspricht großartige weitere Bücher, Freude für die Zukunft.
In eine ganz andere österreichische Gegend führt der neue cosy Krimi von Lisa Lercher:
Lisa Lercher: Jenseits auf Rezept
Kriminalroman // Haymon Verlag // 2018
270 Seiten //
Lisa Lercher ist eine versierte Krimischreibende, die ihre Themen immer packend in einer ihr besonders vertrauten Landschaft darstellt. Einer ihrer Romane, „Die Mutprobe“ wurde von ORF und MDR erfolgreich 2006 verfilmt. 2015 erschien ihr Roman „Faule Marillen“, in denen sie den ermittelnden Major Paul Eigner vorstellte. „Jenseits auf Rezept“ begleitet Paul Eigner weiter, wobei jedes Buch für sich steht.
Der Winter ist vorüber, der Vorfrühling beginnt äußerst zaghaft am Südufer der Donau in einem verschlafenen Dorf mit einem Mord, von dem keiner ahnt, dass es ein Mord gewesen ist. Nur die Tochter der Toten glaubt nicht daran. Als Wochen später ein alter, versponnener Mann in seiner Einsiedelei im Bett stirbt, scheint ebenfalls alles klar zu sein. Paul wundert sich ein wenig, weil die Toten auf den zweiten Blick mehr gemein haben als er glauben möchte.
Da sind wir schon mitten in den Befindlichkeiten seiner Familie gelandet, der Enttäuschung seiner Schwester Marianne, die ihren Ehefrust fast nicht mehr hinunter schlucken kann, der Freude, die Pauls Enkel verbreitet, den Schatten, die Paul immer noch fürchtet, weil ihn der Tod seiner Frau so mitgenommen hat. Aber glücklicherweise gibt es Kolleginnen, die er wirklich mag, und die Wachau, in der er heimisch ist. Als jedoch Sonja König, die hübsche Masseurin im neuen Therapiezentrum, tot aus der Donau geborgen wird, ist nicht nur Paul klar, dass irgendetwas faul im Marillenland ist.
Lisa Lercher ist ein Krimi gelungen, der ohne Blutströme und seriell hergestellte Leichen auskommt, der eine ganz eigene Dynamik entwickelt, weil die Schriftstellerin der hinreißenden Schönheit der Wachau und der Freundlichkeit der Dörfler etwas Böses gegenüberstellt, das alltäglich beginnt. Sie legt falsche Fährten und bringt die Leser dazu, sich zu fragen, ob das nicht alles ganz normale Leute sind, die den eigenen Nachbarn und Freunden oder Familienmitgliedern ähneln. Wie kann es geschehen, dass einer von denen plötzlich so gewalttätig wird? Die Idylle wird zu einem unsicheren Platz, der Frieden zu einem löchrigen Gespinst.
Ein kleines Glossar hilft norddeutschen Lesern bei manchen farbigen Ausdrücken und Redensarten in diesem Buch, die nicht unbedingt österreichischer Dialekt sind, sondern eigentlich fast immer der Hochsprache zugehören und die zeigen, dass wir nicht wirklich dasselbe Idiom benützen. Die beschriebenen Dörfer, Klöster, Ruinen und den wunderbaren Welterbe-Steig für Wanderer gibt es wirklich, auch das international besetzte jährliche Literatur&Wein Festival. All das verwendet Lisa Lercher in einem liebevoll in Szene gesetzten Hintergrund. Und eigentlich möchte man zum Schluss wissen, wie es weitergeht mit Paul Eigner und was ihm in Zukunft noch blüht.
Fröhliches Lesen wünscht Beatrix
Ich las mich fest, entdeckte Neues, begeisterte mich wieder für Vertrautes und dazwischen ergaben sich noch Rezensionsaufträge.
Aus diesen habe ich zwei Titel für den kommenden Sommer ausgesucht, beide aus Österreich, beide aus Gegenden, die wunderbar zum Urlauben sind – und wenn man dazu nicht kommt, dann kann man wenigstens über spannende Bücher den Weg dorthin finden.
Ein Debüt aus dem Salzburgischen ist:
Mareike Fallwickl: Dunkelgrün fast schwarz
Roman // VFA // 2018
480 Seiten //
https://www.fva.de/Buecher/Neuerscheinungen/Dunkelgruen-fast-schwarz.html |
Die Farben dort waren düster und zerschlissen, bauschten sich zu Mündern, aus denen kein Ton kam.
Der Berg wird nicht nur als Kulisse verwendet, sondern auch als Inselmetapher für die Stadtmenschen oben auf dem Hang, die sich nie zugehörig fühlen werden. Weggehen oder dableiben ist immer ein Thema der Helden. Mareike Fallwickl hat ihre Umgebung genau studiert, hat sich darauf eingelassen, sie auf besondere Weise zur Bühne ihrer Familiengeschichte zu machen. Die Figurenkonstellation selbst ist nicht neu:
Zwei Freunde mit unterschiedlichen Charakteren wachsen miteinander auf, werden zum Missbehagen ihrer Mütter unzertrennlich, verlieben sich in dasselbe Mädchen. Es kommt zu Kränkungen, Verletzungen, Taten, die das Trio sprengen, und einem dramatischen Treffen Jahre später. Eine Geschichte, die man zu kennen meint.
Und trotzdem ist dieser Roman etwas Besonderes. Fallwickl arbeitet mit Farben, die Menschen zugeordnet werden, mit einem Helden, Moritz, der diese Farben auch sehen kann. Als Kind dechiffriert er natürlich nicht, später liebt er diese Gabe, noch viel später wird er sie vernachlässigen, um zur Ruhe zu kommen. Moritz ist ein schüchterner Knabe, seine Mutter Marie ist gerade von Wien ins Salzburger Land übersiedelt, vermisst den Mann, der seine medizinische Ausbildung beenden muss und vorhat, in Hallein zu ordinieren. Auf dem Spielplatz lernt Moritz den strahlenden Raffael kennen, dessen Mutter scheinbar ebenso alleingelassen lebt. Moritz ist von Raffael fasziniert. Enge Bande entwickeln sich, die Marie zunehmend Sorgen machen. Selbst die Geschwister der zwei Freunde bleiben ausgeschlossen und wollen, je älter die Buben werden, desto weniger mit ihnen zu tun haben.
Die Geschichte wird von drei Stimmen erzählt, der Mutter Marie, Moritz und der Freundin Johanna. Marie hat das Wesen Rafaels schnell erkannt, aber auch den Charme, die Intelligenz, die spielerische Leichtigkeit und später die erotische Anziehung des Knaben. Sie fürchtet ihn wie sie seinen Vater fürchtet. Johanna, die Klassenkameradin und erste Liebe von Moritz, ist ein einsames Opfer, das sich nur zu gerne in Abhängigkeiten verstrickt, Liebe mit Unterwerfung verwechselt, besessen davon, zur perfekten Partnerin zu mutieren. Moritz ist eine Mischung aus tumbem Tor und naivem Träumer, einer, der das Beste für alle will, der loyal ist und seinen eigenen Stärken und Talenten nicht wirklich traut. Das Aufeinandertreffen der Erwachsenen wird von Moritz, der mittlerweile in einer neuen Beziehung in Hallein lebt, und von Johanna, die aus Berlin anreist, als überraschende Wendung betrachtet. Doch Rafael scheint wieder Regie zu führen und Marie befürchtet das Schlimmste. Es geht in diesem Buch immer um Abhängigkeiten, um unterschiedliche Formen von Liebe. Wie die drei Erzähler ihre fatalen Situationen beschreiben ist fast immer bewegend und großartig gemacht. Am schwächsten ist für mich das Las-Vegas-Kapitel, in dem sämtliche Klischees vorgeführt werden und das man im Grunde hätte streichen können. Hörigkeit ist zum Beispiel von Zeruya Shalev so überragend beschrieben worden, dass Mareike Fallwickl besser beraten gewesen wäre, hier nur die Essenz darzustellen und nicht das Spielerparadies. Die Einsichten in Raffaels Charakter sind ohnehin deutlich und überzeugend.
Auf jeden Fall ist es eine spannend erzählte, erschreckende und berührende Geschichte mit Figuren, denen man willig in ihr Leben folgt. Mareike Fallwickls Debüt verspricht großartige weitere Bücher, Freude für die Zukunft.
In eine ganz andere österreichische Gegend führt der neue cosy Krimi von Lisa Lercher:
Lisa Lercher: Jenseits auf Rezept
Kriminalroman // Haymon Verlag // 2018
270 Seiten //
https://www.lovelybooks.de/autor/Lisa-Lercher/Jenseits-auf-Rezept-1510931367-w/ |
Der Winter ist vorüber, der Vorfrühling beginnt äußerst zaghaft am Südufer der Donau in einem verschlafenen Dorf mit einem Mord, von dem keiner ahnt, dass es ein Mord gewesen ist. Nur die Tochter der Toten glaubt nicht daran. Als Wochen später ein alter, versponnener Mann in seiner Einsiedelei im Bett stirbt, scheint ebenfalls alles klar zu sein. Paul wundert sich ein wenig, weil die Toten auf den zweiten Blick mehr gemein haben als er glauben möchte.
Da sind wir schon mitten in den Befindlichkeiten seiner Familie gelandet, der Enttäuschung seiner Schwester Marianne, die ihren Ehefrust fast nicht mehr hinunter schlucken kann, der Freude, die Pauls Enkel verbreitet, den Schatten, die Paul immer noch fürchtet, weil ihn der Tod seiner Frau so mitgenommen hat. Aber glücklicherweise gibt es Kolleginnen, die er wirklich mag, und die Wachau, in der er heimisch ist. Als jedoch Sonja König, die hübsche Masseurin im neuen Therapiezentrum, tot aus der Donau geborgen wird, ist nicht nur Paul klar, dass irgendetwas faul im Marillenland ist.
Lisa Lercher ist ein Krimi gelungen, der ohne Blutströme und seriell hergestellte Leichen auskommt, der eine ganz eigene Dynamik entwickelt, weil die Schriftstellerin der hinreißenden Schönheit der Wachau und der Freundlichkeit der Dörfler etwas Böses gegenüberstellt, das alltäglich beginnt. Sie legt falsche Fährten und bringt die Leser dazu, sich zu fragen, ob das nicht alles ganz normale Leute sind, die den eigenen Nachbarn und Freunden oder Familienmitgliedern ähneln. Wie kann es geschehen, dass einer von denen plötzlich so gewalttätig wird? Die Idylle wird zu einem unsicheren Platz, der Frieden zu einem löchrigen Gespinst.
Ein kleines Glossar hilft norddeutschen Lesern bei manchen farbigen Ausdrücken und Redensarten in diesem Buch, die nicht unbedingt österreichischer Dialekt sind, sondern eigentlich fast immer der Hochsprache zugehören und die zeigen, dass wir nicht wirklich dasselbe Idiom benützen. Die beschriebenen Dörfer, Klöster, Ruinen und den wunderbaren Welterbe-Steig für Wanderer gibt es wirklich, auch das international besetzte jährliche Literatur&Wein Festival. All das verwendet Lisa Lercher in einem liebevoll in Szene gesetzten Hintergrund. Und eigentlich möchte man zum Schluss wissen, wie es weitergeht mit Paul Eigner und was ihm in Zukunft noch blüht.
Fröhliches Lesen wünscht Beatrix
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