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Theater im Lockdown

"Nichtalltägliches aus dem Leben eines Beamten" & "Einladung zum Klassentreffen" sind zwei kurzweilige Theaterstücke, die beide auf ihre Weise sehr vergnüglich sind. Während Ersteres von einem leicht verrückten Beamten erzählt, der sich am Faschings-Dienstag nicht nur über seinen Arbeitsalltag, sondern auch über sein (kaum noch existentes) Privatleben Luft macht, geht es im zweiten Stück um eine lang vergessene Freundschaft. 

Martin Schörle: "Nichtalltägliches aus dem Leben eines Beamten" & "Einladung zum Klassentreffen"

Engelsdorfer Verlag // 2016 
119 Seiten // 9,50 Euro 

"Nichtalltägliches aus dem Leben eines Beamten": Schon auf den ersten Seiten wird deutlich, dass Fredenbek ein nicht ganz normaler Beamter ist. Sind Beamte eher dafür bekannt ihren Beruf nicht gerade zu lieben, brennt Fredenbek für seinen Beruf. Fredenbek ist der Meinung, dass ein Beamter in der Lage sein muss, "zu jedem dienstlichen Vorgang einen persönlichen Bezug herzustellen, sich - gewissermaßen - mit den Akten anzufreunden." Verordnungen und Paragraphen sind seine Herzensangelegenheit, die ihn selbst im Urlaub in Italien nicht loslassen. Seine Gedanken scheinen sprunghaft zu sein und genauso legt er sie dem Zuhörenden bzw. Lesenden auch dar. So plädiert er für eine Selbsthilfegruppe für Beamten und erklärt warum er sich kein "soziales Umfeld "zugelegt" hat. 

"Nur gegen uns darf man Vorurteile pflegen, die längst widerlegt sind. Da sind sich alle mal einig. Zum Beispiel dass wir unter Kommunikations- und Ekstasegesichtspunkten allenfalls mit Goldfischen konkurrieren könnten. Und ich sag Ihnen was: Erst mal sind Goldfische ganz zauberhafte Tiere, die man steuerfrei und ohne Gefährdung der Öffentlichkeit halten kann; sie beschmutzen nicht die Bürgersteige." 

Manchmal hat Fredenbek mich dabei auch bei seinen Ausführungen abgeschüttelt und ich hatte für einen Moment den Gedanken "Was lese ich hier gerade?". Aber dieses „Abgeschüttelt-werden“ war für mich an sich nichts "schlechtes", zumal es gerade zeigt, dass Fredenbek sich von einem sozialen Leben gänzlich verabschiedet hat und von seinen (wirren) Gedanken von Dienstwegen, Paragraphen und Akten beherrscht wird. Wenn ich jeder Ausführung und jedem Gedankensprung zu hundert Prozent hätte folgen können, wäre Fredenbek entweder nicht so wirr wie gedacht, oder ich müsste mir Sorgen um meinen eigenen Gesundheitszustand machen (hoffen wir ersteres). Zudem wurde ich von Fredenbek schnell wieder abgeholt - vielleicht nicht genau da, wo ich verloren gegangenen bin, aber in der unmittelbaren Nähe. 

Das zweite Stück „Einladung zum Klassentreffen“ lässt sich als „Theaterroman“ prima lesen, ich kann es mir aber auch sehr gut auf der Bühne vorstellen. Martin Schorle hat sich auch schon ein passendes Bühnenbild ausgedacht: Die Bühne ist halbiert, auf der linken Hälfte zwei Eisenbahnabteile, in einem sitzt Marina, auf der rechten steht Carsten vor Marinas Wohnung, die das Publikum aber nicht sehen kann. 

Carsten zückt sein Handy und ruft Marina an, um sie zum 20 jährigen Abitreffen einzuladen. Man merkt schnell, dass Carsten und Marina sich sehr sympathisch waren und dass Carsten immer noch ein bisschen in Marina verliebt ist. Carsten beginnt Marina geschickt auszufragen und Marina erzählt schnell ihre Geschichte: von ihrer unglücklichen Ehe mit dem Karrierist Holger, ihrem brennenden Kinderwunsch, ihrem Versuch Hilfe von einer Thearapeutin zu bekommen, der Trennung von Holger und ihrer anschließenden Fehlgeburt. Carsten dagegen hatte einige Freundinnen und mittlerweile einen Sohn, aber Marina nie vergessen. 

Und langsam merken die beiden, dass es nie zu spät ist. Dass man eine zweite Chance auf eine Liebe bekommen, dass man Vergangenheit überwinden und neu anfangen kann. Martin Schorle zeigt das anhand einer normalen, beinahe alltäglichen Situation. Als die beiden sich dann wirklich vor Marians Haustür treffen, haben einige - das Telefonat belauschende - Personen aus dem Nachbarabteil Marina nach Hause begleitet. Sie erzählen, wie sie ihre Liebe gefunden haben. Ein schönes Stück, denn Zufall und Hoffnung gibt es immer.

Vielen Dank an den Autor für das Rezensionsexemplar! 

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