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Von der magischen Anziehung der Vorstellung eines Lebens

New York 1974. Kleinstädter Gil will sich seinen großen Traum erfüllen und es als Schauspieler an den Broadway schaffen. Doch er ist nicht allein, denn seine einzige Freundin in New York Lisa strebt ihren Durchbruch als Malerin an, während ihre Freundin Emma eine angehende Dichterin ist. Jahre später - Gil lebt schon längst nicht mehr in New York, seine Frau ist schwanger und eine große Schauspielkarriere hat er auch nicht hinter sich - blickt er auf ihre gemeinsame Zeit in New York zurück.

Wilton Barnhardt: Emma who saved my life
Roman // St. Martins Press // 1989
385 Seiten // Paperback


Der Roman hat keine klassischen Kapitel, sondern ist in Jahre aufgeteilt. Nach einem kurzen Vorwort aus der „Jetzt-Zeit“ beginnt der Roman 1974 mit Gils Ankunft in New York. Er begleitet seine zukünftigen Mitbewohnerinnen Emma und Lisa zu einer legendären Partyqueen, die den Rücktritt Nixons als Anlass für eine weitere Party nimmt. Die Leute, denen Gil begegnet, sind sehr exzentrisch und für Gil DAS New York, in das er sich werfen und sein Glück finden will.

Seit Gil Emma das erste Mal getroffen hat, ist er Hals über Kopf in sie verliebt. Sie ist sehr eigen und hadert immer wieder mit sich und der Welt. Bis sie ihr Ziel erreicht hat, Dichterin zu werden, hat sie sich selbst ein Zölibat auferlegt. Es schwierig, Emma zu beschreiben, doch dieses Zitat gibt einem eine sehr gute Vorstellung von ihr:
„I’ve said it for years,“ Emma went on, „there’s a chic to post-apocalypse; it’s not gonna be so bad after it all blows over -„
„If you survive,“ said one woman. 
„Oh it’s gonna take much more’n that to get rid of Emma, I tell you,“ said Emma. 

Auch wenn Emma Gils Gefühle nicht erwidert, sieht auch sie in ihm den Menschen, mit dem sie durch dick und dünn gehen wird. Und wenn die beiden sich fürchterlich streiten, finden sie immer wieder zusammen. So ist Emma von der Idee einer anderen Frau an Gils Seite nicht gerade begeistert. Sie verabscheut auch Connie, die Gil nach einer seiner Vorstellungen kennenlernt und erfolgreich an der Wall Street arbeitet. Als Gil nach einiger Zeit wieder auf Connie trifft, lädt diese ihn zum Dinner ein. Emmas Einwände zum Trotz sagt Gil zu. In Connies teuren und stilvoll eingerichteten Apartment fühlt sich Gil deplatziert. Er beneidet Connie um ihr großes kulturelles Wissen und Interesse: „And on and on she went while I sat there fascinated. this is the was to live, I said to myself, this is the way to be. „Oh my, all my problems, blah blah blah.“ There was knowledge out there, knowledge about art, literature, cooking, travel, and some people gave their minds to it, and others sat around, whined and watched a lot of TV. Not mentioning any names here.“ 
Zu diesem Zeitpunkt habe ich mich zum ersten Mal gewundert, warum sich Gil, wo es doch sein größter Traum ist, Schauspieler zu werden, eigentlich kaum für das Theater interessiert und selbst nie zu Theatervorstellungen geht. Wenn er sich später mit Emma streitet, da sie sehr viel Geld in Psychotherapeuten und Medikamente investiert, hält er ihr vor, dass sie von dem vielen Geld ganz andere Dinge machen könnten, beispielsweise ins Theater gehen. 
Dass es allein eine Sache des Geldes ist, dass Gil nie ins Theater geht oder andere kulturelle Veranstaltungen besucht - das Kino ausgenommen - erschien mir eine fadenscheinige Ausrede. Und je weiter die Jahre voranschreiten, desto deutlicher wird auch für Gil: Es geht um die Idee, die Vorstellung eines Lebens und nicht um das Leben dieser Idee. Doch Gil wird dies erst richtig klar als er es in den Augen anderer „geschafft“ hat.

Emma who saved my life ist ein Roman, der in keiner Weise aus der Zeit gefallen ist. Auch nach über 30 Jahren fängt der Roman ein Gefühl ein, dass die Anziehung einer Idee, einer unerfüllten Vision, manchmal stärker sein kann als die Vision und das dahinter stehende Ziel an sich. Das ist viel mehr als der Ausdruck „nicht alles, was glänzt, ist gold.“ Denn Barnhardt verteufelt die unerfüllte Vision nicht, er zelebriert sie als Lebensabschnitt, den wir vielleicht alle durchschreiten sollten. Dabei ist Gil herrlich selbstironisch, sodass der Roman trotz eines kleinen Durchhängers in der Mitte ein toller Lesespaß ist. 

„Lot of shitty lives out there, Gil.“
Yeah well be glad you’ve kept the shit at a minimum.
„My new goal in life“, she said.


Vorgelesen von 
    Gianna 

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