Eine Landstraße führt Richtung Süden nach Mill Run. Wir kamen vom Highway, der Pittsburg mit Pennsylvania verbindet. Die Wälder glühten noch immer, die Hügel glitten in sanften Schwüngen an uns verüber, bildeten farbige Rahmen für Bäche und Teiche. Die Gegend ist dünn besiedelt, die Idylle täuscht nur schlecht darüber hinweg, dass die Felsen hier oft die dünne Erdschicht durchstoßen. Meist sahen wir tiefschwarze Kühe auf kleinen Weiden, die Höfe werden von Nebenerwerbsbauern betrieben. Im Frühsommer muss es überwältigend sein,wenn die Rhododendren, die sich hier an allen Rinnsalen entlang breitmachen, blühen.
Und plötzlich war da eine Abzweigung, folgte ein Parkplatz und ein ansprechend konstruiertes Besucherzentrum. Wir waren in Falling Waters, dem Traumhaus Franklin l. Wrights, das er 1935 zu planen begann und das zwei Jahre später fertig gebaut war.
Auftraggeber war das Ehepaar Kauffman, das in Pittsburg ein Kaufhaus besaß. Sie wollten mitten im Wald ein Ferienhaus mit Blick auf einen hübschen Wasserfall, das der absolute Kontrast zu den Hochhäusern im Smog verhüllten, lauten, dreckigen Pittsburg jener Tage sein sollte. (Diese Stadt hat sich übrigens sehr und wunderbar verändert!).Wright überzeugte das Paar von seiner Idee, den Wasserfall ins oder eigentlich unters Haus zu verlegen und zu integrieren. Er wollte eine bewohnbare Skulptur zum Bestandteil der Umgebung machen. Alles, was dafür nötig war, entwarf er – und es wurde zu einer sprudelnden Ideenquelle für Architekten weltweit.
Selbst für eine Begeisterte wie mich (seit 45 Jahren hatte ich von einem Besuch dieses Hauses geträumt) war sichtbar, wie altersanfällig Beton aus der damaligen Zeit ist und wieviel restauriert werden muss. (Das macht im Übrigen der Staat hier, was nicht so selbstverständlich wie bei uns ist). Komisches Detail am Rande: das Dach leckte anscheinend bereits einige Jahre nach Fertigstellung und als Kauffman Wright deshalb anrief, riet ihm der allen Ernstes zu Eimern, die bei Regen leicht unter unerwünschte Wasserfälle geschoben werden konnten.
Nach diesem animierenden Nachmitttag ging es über die Grenze nach Morgantown, West Virginia, wo meine Agentin schon wartete.
Morgantown hatte sich vor ca. 150 Jahren entscheiden dürfen, ob die Stadt lieber ein Gefängnis oder eine Universität beherbergen wollte-. Nun bevölkern ca. 30.000 Studenten die 20.000 Einwohnerstadt und niemand will die Frage, ob das wunderbar sei, klar beantworten.
Noch vor Reiseantritt hatte meine Agentin geplant, dass der Wahlabend unbedingt bei ihr zu verbringen wäre. „Off the road“, hatte Christine gesagt.
Mir war klar, dass unsere Freunde, die meisten meiner Kolleginnen und Kollegen demokratisch wählen und dass daher meine Erwartungen nichts mit der Realität zu tun haben mussten. Die Gespräche, denen in den vorangegangenen Tagen so Viele aus dem Weg gegangen waren, hatten mich jedoch stutzig werden lassen. Die kaum unterdrückte Aggression mancher Bekanntschaften irritierte mich. Trotzdem glaubten wir, wie unsere Freunde, den Analysten, die Clintons Sieg voraussagten.
Am Abend des 8.November hatten unsere Gastgeber Champagner eingekühlt und viele Leckereien von ihrem Lieblingschinesen bestellt. Wir saßen vorm Fernseher, plauderten und warteten einigermaßen entspannt auf die ersten Ergebnisse. Sechs Stunden später war klar, dass massive Änderungen auf das Land zukommen würden. In den folgenden Tagen erfuhr ich viel Frust, viele Ängste, echten Schock und den kunterbunten Anfang einer Oppositionsbildung, die nichts mitParteiarbeit zu tun hat. Aber ich wurde auch mit dem seltsam anmutenden Siegerstolz konfrontiert, der oft mit militärischen Drohungen und Rundumschlägen garniert war. Solche Eindrücke sind mir in diesem Land nach 30 Jahren intensiver privater Verbindungen neu.
Es überlagert alles, was ich auf dieser Reise erlebe.
Auch so schöne Momente wie die vor der New River Gorge Bridge in der Nähe von Fayetteville. Sie überspannt elegant und im drittgrößten Bogen des Kontinents ein Tal, in dem lange Zeit Kohle geschürft wurde, Bergbausiedlungen entstanden und wieder aufgegeben wurden. Die Förderstollen sind nun Museum, die Bahngleise verlieren sich im wuchernden Wald, das Tal dieses uralten Flusses, der laut Geologen älter als die Appalachen ist, ist ein Nationalpark geworden.
Es ist eine Gegend, die arm war, dann Reichtum für manche brachte und nun wieder in der Bedeutungslosigkeit versinkt – und die doch Heimat auch für eine der interessantesten Frauen der USA war. In Wytheville, einem alten und immer noch hübschen Städtchen, das im 18.Jahrhundert mit Möbeltischlerei begann und immer noch damit überlebt, wurde Edith Bolling als Schwester von zehn Geschwistern geboren. Sie heiratete, wurde früh Witwe, übernahm den kleinen Juwelierladen ihres Mannes und unterstützte den beginnenden Wahlkampf Woodrow Wilsons. Die Zwei verliebten sich, heirateten und Edith wurde 1915 die geheime Präsidentin, die ihren Mann nicht nur beriet, sonder stark beeinflusste. Hier in dieser reizenden Stadt vor ihrem Geburtshaus bewundere ich, wie man Weltoffenheit und Bildung auch unter schwierigen Umständen erlangen konnte, in einem Maß, das die Weltgeschichte beeinflusste.
Aber die Appalachen warteten mit noch mehr Überraschungen für mich auf.
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