Direkt zum Hauptbereich

David Foenkinos: Die Frau im Musée d`Orsay

Roman // Original: Vers la beauté
Penguin Verlag // 2019 // aus dem Französischen von Christian Kolb
240 Seiten // 20,00 Euro // Hardcover mit Schutzumschlag

Wie auch in diesem Artikel wird Die Frau im Musée d´Orsay als leichter Roman über einen Professor, der sein altes Leben hinter sich lässt, verkauft. Tatsächlich lässt der Protagonist Antoine Duris überhaupt nichts hinter sich.
Seine Schwester denkt, dass er sich aufgrund der Trennung von seiner langjährigen Freundin aus seinem Leben in Lyon zurückzieht. Damit hat sie auch zu einem gewissen Grad Recht. Denn während seine Professur an der Hochschule der schönen Künste in Lyon ihm weiter Freude bereitet, fühlt Antoine sich in seinem Privatleben verloren. Das Leben, dass er zuvor mit seiner Freundin geteilt hat, gibt es nicht mehr und ihr Trennungsgrund, dass sie sich Antoine nicht als Vater vorstellen könne, scheint ihn doch zum Grübeln zu bringen. Der tatsächliche Grund für seine Flucht aus Lyon ist jedoch das Schicksal seiner Schülerin Camille.

Der erste Teil des Romans, in dem es vor allem um Antoines jetziges Leben in Paris und seine Arbeitsstelle im Musée d´Orsay geht, hat etwas malerisches und typisch Französisches. Am Morgen vor seinem Schichtantritt spricht Antoine mit den Gemälden und fällt einem Mann, der für die Führungen zuständig ist, zwei Mal ins Wort, um dessen Ausführungen zu ergänzen.
Im zweiten Teil wird von Antoines früheren Leben in Lyon berichtet und der Zeit nach seiner Trennung. Dieser fiel gegenüber dem ersten Teil zwar etwas ab, dennoch hat dieser mir im Großen auch gut gefallen.
Der dritte Teil des Romans ist der Grund für meine letztendlich schlechte Meinung über das Buch: Die junge Camille war schon immer ein eher zurückgezogenes Kind, sie beschäftigt sich gerne mit sich selbst und geht am Wochenende mit ihrem Vater angeln. Bei einem Schulausflug ins Museum erkennt sie ihre Leidenschaft für die Malerei, es ist als würde sie einen Teil finden, von dem sie selbst nichts wusste. Camille zeigt nicht nur große Begeisterung, sondern auch Talent, so dass ihre Mutter eine ihrer Kolleginnen und dessen Mann Yvan, der Kunstlehrer ist, zum Abendessen einlädt. Camille besucht Yvan wöchentlich, um sich künstlerisch zu entwickeln. Im Laufe dieser Kunststunden vergewaltigt Yvan Camille, woraufhin diese in tiefe Depressionen verfällt.
Als Camille Jahre später an der Kunsthochschule in Lyon an einem Seminar von Antoine Duris teilnimmt, kommt sie an einen Punkt, an dem sie das Gefühl hat, endlich ihre Vergangenheit und deren Schatten hinter sich lasen zu können. Doch als ihr Yvan bei einem Ausflug mit seiner Klasse begegnet, wird ihr klar, dass sie ihre Dämonen niemals besiegen kann, und begeht schließlich Selbstmord.

Was soll dieser Roman dem Leser geben?
Diese Frage versuche ich mir bei jedem Buch, das ich lese, zu stellen. Dabei muss es sich nicht im eine großartige Erleuchtung gehen, ein Buch kann auch einfach zur Unterhaltung dienen und zum Träumen in einer schönen Szenerie.
Die Frau im Musée d`Orsay lässt mich einfach nur bitter aufstoßen. Denn die Moral scheint zu sein, dass man als Frau dankbar sein sollte, wenn man (noch) nicht vergewaltigt wurde. Es geht mir nicht darum, dass diese Thematik verschwiegen werden sollte, denn dass soll sie ganz und gar nicht. Das Schicksal Camilles, eines jungen Mädchens, dass sich innerlich tot fühlt und sogar mit eigenen Schuldvorwürfen lebt, da sie ja einen Rock getragen hat, kann durch jeden beliebigen Namen ersetzt werden.

Also was gibt mir Die Frau im Musée d`Orsay?
Es nimmt mir jegliches Vertrauen in unsere Gesellschaft und mir wird übel, wenn ich daran denke, wie ein "Ereignis", ein ganzes Leben zerstören kann. David Foenkinos beschreibt, wie ein Mann mit seinem eigenen Leben immer unglücklicher und von anderen Menschen belächelt wird, so dass er, um zumindest ein Mal das Gefühl von Macht und Kontrolle zu haben, das Leben von nicht nur einer Frau zerstört. Soll der Leser jetzt auch noch Mitgefühl entwickeln für diese missverstandene Seele? Das habe ich ganz sicher nicht.
Wenn ich mir die Meinungen anderer Leser und Leserinnen durchlese, habe ich das Gefühl ein anderes Buch gelesen zu haben. Für mich ist Die Frau im Musée d´Orsay nicht tiefsinnig, berührend und einfühlsam. Es brachte mich nicht zum Nachdenken, sondern zum Verzweifeln. In dieser Geschichte ist der angebliche Protagonist Professor Antoine Duris nur Statist. Was als leichter Roman mit französischem Flair verkauft wird, ist die Geschichte über die Zerstörung eines Lebens.


Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Andreas Lehmann: Schwarz auf Weiss

Wieder hat der Karl Rauch Verlag es geschafft mich bereits mit der Cover-Gestaltung zu überzeugen. Ich wünschte alle meine Bücher würden so aussehen! Karl Rauch Verlag // 2021 176 Seiten // 20,00 Euro // Hardcover Als Martin Oppenländer erkennt wie sinnlos und monoton seine Arbeit letztlich ist, will er nicht länger von ihr abhängig sein. Kurzerhand macht er sich selbstständig. Doch die erhoffte Freiheit stellt sich nicht ein als die Welt auf einmal still steht. Da keine Aufträge hereinkommen, bleibt er in der Abhängigkeit, doch dieses mal nicht von einem Arbeitgeber, sondern vom Staat. Sein Leben scheint komplett aus den Fugen geraten zu sein, ohne Alltag mit einem Job, den er nicht ausüben kann. In dieses Chaos hinein erreicht ihn ein Anruf aus der Vergangenheit - von einer Frau, an die er sich nicht mehr erinnern kann. Als Martin ihr dies gesteht, ist sie zunächst nicht sonderlich erbaut darüber. Trotzdem ruft sie wieder an. Und während er versucht ein Bild von dieser Frau zusammen

Miika Nousiainen: Quality Time

Ein sehr realitätsnaher, witziger Roman, in dem Toleranz gelebt wird und nicht mit der Moralkeule eingefordert. Sami, Markus, Asta, Nojonen, Hanna; fünf Menschen in Helsinki geben uns einen Einblick in ihre gegenwärtige Lebenssituation und Gefühlswelt. Sie sind eng miteinander verbunden, teils Freunde, teils Geschwister, und Asta ist die Mutter von Sami und Hanna.  Miika Nousiainen: Quality Time Roman // Original: Pintaremontti  Kein & Aber // 2021 // Übersetzt aus dem Finnischen von Elina Kritzokat  336 Seiten // 22,00 Euro // Harcover Miika Nousianinen erzählt aus der Ich-Perspektive des jeweiligen Protagonisten, von Hannas unerfüllten Kinderwunsch, Samis vergeblichen Versuchen die Frau fürs Leben und zur Familiengründung zu finden und von Markus Problemen als alleinerziehender Vater zwei kleiner Töchter. Nojonen hat immer nur seine Eltern gepflegt, erst den Vater, dann die Mutter. Nach deren Tod fällt er in ein tiefes Loch. Asta hat lange unter ihrem herrischem Ehemann gelitten

Ilinca Florian: Das zarte Bellen langer Nächte

Roman // Karl Rauch Verlag // 2020 160 Seiten // 20.00 Euro // gebunden mit Lesebändchen Das zarte Bellen langer Nächte ist ein typisches Buch über eine verlorenen Seele in der Großstadt Berlin und über das Erwachsenwerden. Nach ihrem Studienabschluss weiß Hannah nicht, wohin ihr Weg sie führt. Sie nimmt verschiedene Jobs an, um sich über Wasser zu halten, so arbeitet sie für das KaDeWe oder auch für Zalando bei der Rücknahme von Kleidungsstücken. Bei vor allem letzteren fand ich einen Eindruck in die Arbeitsweise spannend, doch auch dort hält es Hannah nicht lange. Sie ist in gewisser Weise rastlos, ohne hibbelig zu sein, verloren, ohne orientierungslos zu sein: Hannah ist weder traurig noch besonders glücklich. Sie denkt an früher, als sie oft alleine durch den Wald spazierte, der in der Nähe ihres Gymnasiums lag. Hat sie sich verändert? Überhaupt nicht. Seltsam, der Gedanke. Dass man immer der gleiche Mensch bleibt, es werden nur Jahre, Kleidung, ein wenig Schminke und eine g