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Ostergrüße mit Hermann Hesse

Liebe Bücherwürmer, 

letzte Woche haben wir noch den Geburtstag unseres Blogs gefeiert, heute gibt es schon den nächsten Feiertag! Wir wünschen Euch allen ein frohes Osterfest und geruhsame Tage mit Familie, Freunden und vor allem vielen Büchern. 

Unsere Osterbücher dieses Jahr sind "Cranford" von Elizabeth Gaskell und "Klein Zaches, genannt Zinnober" von E.T.A. Hoffmann. Wir hoffen, Euch bald von ihnen berichten zu können. 

Zum heutigen Ostersonntag möchten wir einen vielleicht etwas unbekannteren Ausschnitt aus "Gang im Frühling" von Hermann Hesse mit Euch teilen. Auch wenn der Ausschnitt zunächst vielleicht nicht sonderlich Österlich erscheinen mag, wo Ostern doch das Fest der Freude und der Wiederauferstehung ist, so sind Hesses Worte eine Hommage an das Leben, die Lebendigkeit und vor allem die Hoffnung: 

„Die Karwoche ist da, voll und übervoll von Klängen und beladen mit Erinnerungen, an grelle Ostereierfarben, an Jesus im Garten Gethsemane, an Jesus auf Golgatha, an die Matthäuspassion, an frühe Begeisterungen, erste Verliebtesten, erste Jünglingsmelancholien. Anemonen nicken im Moos, Butterblumen glänzen fett am Rande der Wiesenbäche. 

Einsamer Wanderer unterscheide ich nicht zwischen den Trieben und Zwängen meines Innern und dem Konzert des Wachstums, das mich tausend Stimmen von außen umgibt. […]

Jetzt weht leichter Wind mir übers Gesicht, wie er über den nickenden Anemonen weht, und indem er Schwärme von Erinnerungen in mir aufweht wie Staubwirbel, klingt mir Mahnung an Schmerz und Vergänglichkeit aus dem Blut ins Bewusstsein. Stein am Weg, du bist stärker als ich! Baum in der Wiese, du wirst mich überdauern, und vielleicht sogar du, kleiner Haselstrauch, und vielleicht sogar du, rosig behauchte Anemone.

Einen Atemzug lang spüre ich, tiefer als je, die Flüchtigkeit meiner Form und fühle mich hingezogen zur Verwandlung, zum Stein, zur Erde, zum Himbeerstrauch, zur Baumwurzel. An die Zeichen des Vergehens klammert sich mein Durst, an Erde und Wasser und verwelktes Laub. Morgen, übermorgen, bald, bald, bin ich du, bin ich Laub, bin ich Erde, bin ich Wurzel, schreibe nicht mehr Worte auf Papier, rieche nicht mehr am prächtigen Goldlack, trage nicht mehr die Rechnung des Zahnarztes in der Tasche, werde nicht mehr von gefährlichen Beamten um den Heimatschein gequält, schwimme Wolke in Blau, fließe Welle im Bache, knospe Blatt am Strauch, bin in Vergessen, bin in tausendmal ersehnte Wandlung getaucht.

Zehnmal und hundertmal noch wirst du mich wieder einfangen, bezaubern, einkerkern, Welt der Worte, Welt der Meinungen, Welt der Menschen, Welt der gesteigerten Lust und der fiebernden Angst. Tausendmal wird du mich entzücken und erschrecken, mit Liedern am Flügel gesungen, mit Zeitungen, mit Telegrammen, mit Todesnachrichten, mit Anmeldeformularen und all deinem tollen Kram, du Welt voll Lust und Angst, holde Oper voll melodischen Unsinns! Aber niemals mehr, gebe es Gott, wirst du mir ganz verloren gehen, Andacht der Vergänglichkeit, Passionsmusik der Wandlung, Bereitschaft zum Sterben, Wille zur Wiedergeburt. Immer wird Ostern wiederkehren, immer wieder wird Lust zu Angst, Angst zu Erlösung werden, wird ohne Trauer mich das Lied der Vergänglichkeit auf meinen Wegen begleiten, voll Ja, voll Bereitschaft, voll Hoffnung.“

aus: Gang im Frühling, 1920, in: Hermann Hesse: Vom Wert des Alters. Mit Fotografien des Dichters von Martin Hesse u.a. Herausgegeben von Volker Michels. Suhrkamp Verlag 2007, Gebunden, 279 Seiten

 Die Vorleser wünschen Euch frohe Ostern!  

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