Novelle // Original 2017
Verbrecher Verlag // 2018 // Aus dem Georgischen übersetzt von Lia Wittek und Mariam Baramidse //
Mit einem Nachwort von Jörg Sundermeier //
Mit einem Nachwort von Jörg Sundermeier //
120 Seiten // 18 Euro // Hardcover
Sandro Litscheli ist unbedingt urlaubsreif. Und so erzählt er seinem Chef, dass er zur Pflege seiner kranken Mutter aufs Land müsse. Seiner Frau von einer zweiwöchigen Dienstreise nach Sochumi; seiner Geliebten von unaufschiebbaren Erbangelegenheiten in Kutaissi und den Nachbarn und Bekannten von der Erfüllung seines größten Traums: einer Reise nach Madrid.
Dann besucht er seinen früheren Klassenkameraden, der heute Chefarzt im Tbilisser Krankenhaus ist und bittet um ein Einzelzimmer: er stehe am Rande eines Nervenzusammenbruchs. Dieser quattiert Sandro im numernlosen Krankenzimmer neben seinem Chefarztzimmer ein. Hier kann Sandro in Ruhe und Stille seinen Träumen vom Reisen nachhängen, denn Sandro gehört der "Kaste der unermüdlich Reisenden" an: "Er ging leichtfüßig durch die Straßen von Madrid, ging über eine Brücke, über die immer der Wind wehte, ihm den Kragen hob und die Haare zerzauste". Und auf einem Platz unter dem Standbild des berühmten Schriftstellers Cervantes, singt er melodische spanische Wieder zur Gitarre.
Und da Sandro für eine wirkliche Reise zumindest Geld, Fahrkarte, Zeit und eine Genehmigung gebraucht hätte, kauft er sich wenigstens eine Gitarre, lernt zu spielen und spanische Lieder zu singen. Und obwohl Sandro seine Arbeit und Georgien liebt, "verwöhnte er mit seinem wunderbaren Reisen seine Seele".
Bis ihm eines Tages klar wird, dass er nie nach Spanien gelangen wird: "Selbst wenn er einen Berechtigungsschein für seine Reisen von der Gewerkschaft erhalten hätte, hätte er kein Geld dafür gehabt, und hätte er Geld gehabt, so hätte es keine Reiseerlaubnis gegeben, hätte es beides gegeben, hätte er keinen Urlaub bekommen. Wären alle drei Bedingungen erfüllt gewesen, hätte seine Gesundheit versagt. Wären aber alle vier möglich gewesen, ...". Und spätestens hier hat mich die großartige Erzählerin Naira Gelaschwili - wie auch schon in ihrem tollen Roman Ich bin Sie (Verbrecher Verlag 2017) - ganz in ihren Bann gezogen.
In der Einsamkeit des numernlosen Krankenzimmers mit der gepolsterten Tür findet Sandro endlich die ersehnte Gemütlichkeit und Stille. Und auch der alleinlebende Chefarzt findet durch die regelmäßigen Besuche bei seinem Patienten neue Lebensfreude. An den Abenden lassen die beiden ihre gemeinsame Jugendliebe und das gesamte Dorf ihrer Kindheit in ihren Gesprächen und Erinnerungen wiederauferstehen. In dem Krankenzimmer werden die "vergessenen Erinnerungen" und die "unverwirklichte Zukunft" wiederbelebt.
Die abendlichen Besuche haben auch positive Folgen für den gesamten Krankenhausbetrieb. Die Diensthabenden Ärzte und Schwestern kümmern sich wieder besser um die Kranken, da sie den Chefarzt im Haus wissen. Die Kranken fühlen sich umsorgt und werden schneller gesund. Doch dann muss der Chefarzt für einige Tage das Krankenhaus und seinen Patienten verlassen, wodurch die Geschichte eine ungeahnte, ironische Wendung bekommt.
Ich fahre nach Madrid ist eine wundervolle Novelle, poetisch, humorvoll und toll zu lesen. Sie wurde 1982 in einer Literaturzeitschrift publiziert und sorgte sofort für großes Aufsehen. Schnell war die Zeitungsauflage mit 80.000 Exemplaren vergriffen. Wie Jörg Sundermeier in seinem Nachwort schreibt, erhielt der Chefredakteur nach Veröffentlichung eine Anruf vom Zentralkomitee der kommunistischen Partei der Sowjetunion, indem ihm seine Entlassung angedroht wurde: "Denn die Idee war naheliegend: Das Gefühl der Freiheit, obschon im Text die Freiheit ja nur im Traum erlangt wird, drang nach außen. Das Andere, Fremde, Ferne ist jedoch gefährlich für eine totalitäre Regierung".
1982 als eine Form der Regimekritik geschrieben, ist die Novelle noch immer aktuell. Denn bei der heutigen Informationsüberflutung, Stress und Alltagsroutine, verwöhnt eine "Fahrt nach Madrid", eine Reise in die Fantasie, die Seele.
Sandro Litscheli ist unbedingt urlaubsreif. Und so erzählt er seinem Chef, dass er zur Pflege seiner kranken Mutter aufs Land müsse. Seiner Frau von einer zweiwöchigen Dienstreise nach Sochumi; seiner Geliebten von unaufschiebbaren Erbangelegenheiten in Kutaissi und den Nachbarn und Bekannten von der Erfüllung seines größten Traums: einer Reise nach Madrid.
Dann besucht er seinen früheren Klassenkameraden, der heute Chefarzt im Tbilisser Krankenhaus ist und bittet um ein Einzelzimmer: er stehe am Rande eines Nervenzusammenbruchs. Dieser quattiert Sandro im numernlosen Krankenzimmer neben seinem Chefarztzimmer ein. Hier kann Sandro in Ruhe und Stille seinen Träumen vom Reisen nachhängen, denn Sandro gehört der "Kaste der unermüdlich Reisenden" an: "Er ging leichtfüßig durch die Straßen von Madrid, ging über eine Brücke, über die immer der Wind wehte, ihm den Kragen hob und die Haare zerzauste". Und auf einem Platz unter dem Standbild des berühmten Schriftstellers Cervantes, singt er melodische spanische Wieder zur Gitarre.
Und da Sandro für eine wirkliche Reise zumindest Geld, Fahrkarte, Zeit und eine Genehmigung gebraucht hätte, kauft er sich wenigstens eine Gitarre, lernt zu spielen und spanische Lieder zu singen. Und obwohl Sandro seine Arbeit und Georgien liebt, "verwöhnte er mit seinem wunderbaren Reisen seine Seele".
Bis ihm eines Tages klar wird, dass er nie nach Spanien gelangen wird: "Selbst wenn er einen Berechtigungsschein für seine Reisen von der Gewerkschaft erhalten hätte, hätte er kein Geld dafür gehabt, und hätte er Geld gehabt, so hätte es keine Reiseerlaubnis gegeben, hätte es beides gegeben, hätte er keinen Urlaub bekommen. Wären alle drei Bedingungen erfüllt gewesen, hätte seine Gesundheit versagt. Wären aber alle vier möglich gewesen, ...". Und spätestens hier hat mich die großartige Erzählerin Naira Gelaschwili - wie auch schon in ihrem tollen Roman Ich bin Sie (Verbrecher Verlag 2017) - ganz in ihren Bann gezogen.
In der Einsamkeit des numernlosen Krankenzimmers mit der gepolsterten Tür findet Sandro endlich die ersehnte Gemütlichkeit und Stille. Und auch der alleinlebende Chefarzt findet durch die regelmäßigen Besuche bei seinem Patienten neue Lebensfreude. An den Abenden lassen die beiden ihre gemeinsame Jugendliebe und das gesamte Dorf ihrer Kindheit in ihren Gesprächen und Erinnerungen wiederauferstehen. In dem Krankenzimmer werden die "vergessenen Erinnerungen" und die "unverwirklichte Zukunft" wiederbelebt.
Die abendlichen Besuche haben auch positive Folgen für den gesamten Krankenhausbetrieb. Die Diensthabenden Ärzte und Schwestern kümmern sich wieder besser um die Kranken, da sie den Chefarzt im Haus wissen. Die Kranken fühlen sich umsorgt und werden schneller gesund. Doch dann muss der Chefarzt für einige Tage das Krankenhaus und seinen Patienten verlassen, wodurch die Geschichte eine ungeahnte, ironische Wendung bekommt.
Ich fahre nach Madrid ist eine wundervolle Novelle, poetisch, humorvoll und toll zu lesen. Sie wurde 1982 in einer Literaturzeitschrift publiziert und sorgte sofort für großes Aufsehen. Schnell war die Zeitungsauflage mit 80.000 Exemplaren vergriffen. Wie Jörg Sundermeier in seinem Nachwort schreibt, erhielt der Chefredakteur nach Veröffentlichung eine Anruf vom Zentralkomitee der kommunistischen Partei der Sowjetunion, indem ihm seine Entlassung angedroht wurde: "Denn die Idee war naheliegend: Das Gefühl der Freiheit, obschon im Text die Freiheit ja nur im Traum erlangt wird, drang nach außen. Das Andere, Fremde, Ferne ist jedoch gefährlich für eine totalitäre Regierung".
1982 als eine Form der Regimekritik geschrieben, ist die Novelle noch immer aktuell. Denn bei der heutigen Informationsüberflutung, Stress und Alltagsroutine, verwöhnt eine "Fahrt nach Madrid", eine Reise in die Fantasie, die Seele.
Indiebookweek Tag 9 |
Für das Rezensionsexemplar danken wir:
Das ist ja ein interessantes Buch, das werde ich mir wahrscheinlich kaufen. Liebe Grüße Uschi
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