Direkt zum Hauptbereich

Silvia Tennenbaum: Rachel, die Frau des Rabbis

Roman // Original: Rachel, the Rabbi`s Wife // 1978
AvivA Verlag // 2017 // Aus dem Englischen von Claudia Campisi
464 Seiten // 18,00 Euro // Taschenbuch 

Rachel Sonnsheim ist nicht glücklich. Mit ihrem Mann Seymour und ihrem Teenager-Sohn Aron lebt sie in einem Vorort von New York auf Long Island.
Seymour ist Rabbiner in Gateshead und Rachel hasst die finanzielle und emotionale Abhängigkeit von der jüdischen "Vorstadtgemeinde" und deren engstirnigen Ansichten. Früher ging man zusammen auf die Straße, um gegen Rassismus und Vietnamkrieg zu demonstrieren. Jetzt haben die konservativen, angepassten Gemeindemitglieder die Oberhand gewonnen. Eigentlich ist Rachel Malerin und ihr Atelier ist im morschen Dachgeschoss ihres alten Hauses. Nur das sie viel zu selten Zeit zum Malen hat, alle stellen Forderungen an sie als Ehefrau, Mutter und Rebbezin. Dabei verbringt Rachel ihre Zeit am liebsten in ihrem Atelier oder mit Sandwich, Budweiser und Skizzenbuch am Strand.

Also erfüllt sie ihre vermeintlichen Pflichten als Rebbezin nur halbherzig, begleitet ihren Mann nicht auf seinen Gemeindegängen, vernachlässigt den Frauenbund, nimmt gedanklich abwesend an nicht vermeidbaren Gemeindefesten teil. Sie kann mit den Gemeindemitgliedern nichts anfangen, findet keine gemeinsamen Gesprächsthemen oder Interessen.
Lieber flieht sie in ihren Tagträumen "wenn die Gedanken spazieren gehen" in einen typischen New Yorker Sonntag und vermisst das intellektuelle Klima in New York, die Museumsbesuche, die Gespräche mit Freunden aus Studientagen, die unbeschwerte Beziehung zu ihrem Mann:
"Sie wünschte Seymour wäre neben ihr. Sie wünschte sie würden in einem Apartment in der City aufwachen, gleich warme Brötchen essen, die Sonntagszeitung lesen, an einem freien und schönen Tag. Vielleicht in ein Konzert gehen. Ins Museum of Modern Arts. Drinks und Gespräche in einer Bar mit Freunden bis in die Spätwinterdämmerung hinein".
Die Situation spitzt sich zu als Seymours Wiederwahl als Rabbiner ansteht. Nur ein kleiner Kreis unterstützt ihn in seinen fortschrittlichen Ansichten und Rachel ist ihm keine Hilfe dabei, die Stimmen der Gemeindemitglieder zu gewinnen.

Tennenbaum beschreibt den typischen Fall eines Ehepaars, das sich im Laufe ihres Ehelebens - hier sind es 20 Jahre - auseinander entwickelt hat und das eigentlich mit einem anderen Partner besser dran wäre. Rachel will und kann für Seymour nicht die passende Rebbezin sein. Seymour nimmt sich selber viel zu wichtig als das er Rachel eine Unterstützung als Malerin sein könnte. Eigentlich könnte die Gemeinde  doch Stolz darauf sein, eine Künstlerin zur Rebbezin zu haben, aber Vorurteile und Kommunikationsschwierigkeiten auf beiden Seiten machen ein gegenseitiges Verständnis unmöglich.

Silvia Tennenbaum war über 30 Jahre die Frau eines Rabbiners und ihr Roman ist autobiographisch gefärbt. Sie erzählt aus dem Leben einer jüdischen Gemeinde und beschreibt ein Stück Zeitgeschichte, wobei sie Rachel nie aus den Augen verliert. Ein wunderschöner Roman über eine starke Frau, der in einer sehr schönen Sprache geschrieben ist.


Für das Rezensionsexemplar danken wir:

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Ilinca Florian: Das zarte Bellen langer Nächte

Roman // Karl Rauch Verlag // 2020 160 Seiten // 20.00 Euro // gebunden mit Lesebändchen Das zarte Bellen langer Nächte ist ein typisches Buch über eine verlorenen Seele in der Großstadt Berlin und über das Erwachsenwerden. Nach ihrem Studienabschluss weiß Hannah nicht, wohin ihr Weg sie führt. Sie nimmt verschiedene Jobs an, um sich über Wasser zu halten, so arbeitet sie für das KaDeWe oder auch für Zalando bei der Rücknahme von Kleidungsstücken. Bei vor allem letzteren fand ich einen Eindruck in die Arbeitsweise spannend, doch auch dort hält es Hannah nicht lange. Sie ist in gewisser Weise rastlos, ohne hibbelig zu sein, verloren, ohne orientierungslos zu sein: Hannah ist weder traurig noch besonders glücklich. Sie denkt an früher, als sie oft alleine durch den Wald spazierte, der in der Nähe ihres Gymnasiums lag. Hat sie sich verändert? Überhaupt nicht. Seltsam, der Gedanke. Dass man immer der gleiche Mensch bleibt, es werden nur Jahre, Kleidung, ein wenig Schminke und eine g

Der Trubel des akademischen Lebens

ACADEMIA  ist ein statirischer Roman über die Welt der Universitäten und akademischen Weihen. Eve Braintree hat nach der Trennung von ihrem Freund ihre Professorenstelle an der Ostküste aufgegeben, um als Leiterin des Medienzentrums einer renommierten Universität im sonnigen Kalifornien ein neues Leben zu beginnen.  Karen Ruoff: ACADEMIA Roman // Originaltitel: Coming up Ruses Argument Verlag // 2021 // Übersetzt von Christa Schuenke Seiten 400 // 24,00 Euro // Gebunden mit Lesebändchen Als die Budgets der Universität drastisch gekürzt werden, lernt Eve schnell die Schattenseiten des Universitätslebens kennen: Hartley Kendall der Präsident der Universität ist der Prototyp des Machtpolitikers. Nach außen vertritt er zwar den strikten Sparkurs, verfolgt aber nur seine eigenen Reichtums und Machtinteressen. Denn Einfluß an der Universität und in dessen Stiftungsrat haben nur die Mitglieder und Förderer der U_S, was U_numschränkte S_eelenruhe bedeutet. Psychaterin und Hellseherin Anna Na

Andreas Lehmann: Schwarz auf Weiss

Wieder hat der Karl Rauch Verlag es geschafft mich bereits mit der Cover-Gestaltung zu überzeugen. Ich wünschte alle meine Bücher würden so aussehen! Karl Rauch Verlag // 2021 176 Seiten // 20,00 Euro // Hardcover Als Martin Oppenländer erkennt wie sinnlos und monoton seine Arbeit letztlich ist, will er nicht länger von ihr abhängig sein. Kurzerhand macht er sich selbstständig. Doch die erhoffte Freiheit stellt sich nicht ein als die Welt auf einmal still steht. Da keine Aufträge hereinkommen, bleibt er in der Abhängigkeit, doch dieses mal nicht von einem Arbeitgeber, sondern vom Staat. Sein Leben scheint komplett aus den Fugen geraten zu sein, ohne Alltag mit einem Job, den er nicht ausüben kann. In dieses Chaos hinein erreicht ihn ein Anruf aus der Vergangenheit - von einer Frau, an die er sich nicht mehr erinnern kann. Als Martin ihr dies gesteht, ist sie zunächst nicht sonderlich erbaut darüber. Trotzdem ruft sie wieder an. Und während er versucht ein Bild von dieser Frau zusammen