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Von Plebejern und Fischen

„Auch in meiner Kindheit spielten wir Indianer.
Aber jetzt ist der Urwald anders.
Jetzt ist er wirklich da.“

Ödon von Horváth: Jugend ohne Gott

Textausgabe mit editorischer Notiz, Anmerkungen/Worterklärungen, Literaturhinweisen und Nachwort 
Roman // Reclam // 2017 
194 S. // 4,60 Euro 

Als ich „Jugend ohne Gott“ aufschlug, hatte ich keine Ahnung, was mich erwarten würde. Nun ja, das stimmt nicht ganz, denn auf eine nationalsozialistische Kritik war ich bereits eingestellt, wobei ich mehr an „Die Welle“ dachte. Der Roman von Ödön von Horvath gehört zur Standardlektüre in der Schule, dennoch ist er komplett an mir vorbei gegangen, weshalb ich auch keine richtige Assoziation mit dem Titel hatte. 

Einerseits wurde ich beim Lesen überrascht, auf der anderen Seite auch wieder nicht. Der Stil des Buches war beeindruckend. Horvaths Sätze sind prägnant und verleihen dem Stoff des Romans letztlich seine „Schärfe“. Denn die Finesse an „Jugend ohne Gott“ ist die Kritik am Nationalsozialismus, den Plebejern, ohne Themen wie Antisemitismus oder die NSDAP aufzugreifen. Horvaths Kritik geht grundlegender.

Kernstück des Romans ist die „Verrohung der Jugend“. Die Handlung setzt am Geburtstag des Lehrers ein. Bevor er ins Kino gehen möchte, korrigiert der Lehrer für Geschichte und Erdkunde die Aufsätze seiner Klasse an einem Jungen-Gymansiums. Thema des Aufsatzes ist „Warum müssen wir Kolonien haben?“, wobei die Schüler auch über die „Neger“ schreiben. Als der Lehrer am nächsten Tag die Aufsätze austeilt, lässt er sich zu folgendem Satz hinreißen „Auch die Neger sind doch Menschen“, der in dieser Zeit nahezu einen kleinen Skandal auslöst. Es geht also nicht nur um Antisemitismus, sondern um die Ablehnung von allem, was anders ist. Anfangs versucht der Lehrer noch gegen diese Strömung entgegenzuwirken, doch schließlich erkennt er, dass er seine Schüler nicht erreichen kann. Denn seine Schüler lehnen die Dinge, für die er sich einzusetzen versucht, ab, ohne dass sie sie überhaupt kennen. Damit stößt jedes Argument auf taube Ohren und der Lehrer erkennt seine eigene Machtlosigkeit.

Der Lehrer ist jedoch auch kein Kämpfer. Er sucht nicht die Revolution oder den offenen Kampf gegen seine starrsinnigen Schüler. Stattdessen ist der Lehrer letztlich feige und ein gesichertes Einkommen ist ihm wichtiger als seine Schüler zu erreichen. Dies zeigt sich als er die Klasse ins Feldlager begleitet, wo die Schüler dieses Jahr auch das Schießen lernen sollen. Schon lange hat der Lehrer aufgegeben, seine Schüler zu erreichen und so vermeidet er auch bei seinen „Ermittlungen“ infolge eines Diebstahls im Lager jedwede Konfrontation mit den Schülern. Dabei will ich den Lehrer keinesfalls für sein Verhalten verurteilen und behaupten, dass ich mich mutiger verhalten hätte. Doch gerade diese gewisse Taubheit, die den Lehrer befällt, macht den Roman aus.

Nachdem ich „Jugend ohne Gott“ an einem Tag inhaliert habe, hatte ich zunächst das Gefühl nicht recht zu wissen, was ich da eigentlich gerade gelesen haben. Ich finde es schwierig, Lob oder Kritik zu diesem Roman zu formulieren - wobei ich bereits die Einordnung als Roman nicht wirklich passend finde, ohne eine bessere Bezeichnung zu haben. Doch was ich auf jeden Fall sagen kann, ist, dass „Jugend ohne Gott“ bewegend ist, nachdenklich macht und mich erreicht hat. Vermutlich ist es gut, dass ich diesen Roman nicht während meiner Schulzeit gelesen habe, da ich das Gefühl habe, dass ausgiebige Diskussionen über den Lehrer, Schüler Z, N oder B die Atmosphäre, die der Roman kreiert und die mich gerade so beeindruckt und bewegt hat, eher zerstört, als mögliche Fragen zu beantworten.


Vorgelesen von 
    Gianna 

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