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Annette von Droste-Hülshoff: Am letzten Tag des Jahres


Hallo Ihr Lieben,

wir wollen das Vorleserjahr 2022 mit dem Silvestergedicht Am letzten Tag des Jahres von Annette von Droste Hülshoff abschießen (1797 - 1848). Im Sommer haben wir das Wasserschloss Hülshoff zwischen Havixbeck und Roxel bei Münster besucht. Hier wurde sie am 10. Januar 1797 geboren. Nach dem Tod des Vaters 1826 zog Annette von Droste mit Mutter und Schwester auf den Wohnsitz Haus Rüschhaus nahe Münster. Das musste dann natürlich auch noch besichtigt werden:


Sie hat die Novelle Die Judenbuche und zahlreiche Gedichte geschrieben. Ein Thema, das in ihrer Literatur immer wieder auftaucht ist die Naturlyrik. Über ihr Werk sagte sie: Ich mag und will jetzt nicht berühmt werden, aber nach hundert Jahren möcht ich gelesen werden.“


Wir wünschen Euch alles ein gutes und gesundes neues Jahr!

Eure Vorleserinnen 




Am letzten Tage des Jahres (Silvester)



Das Jahr geht um,

Der Faden rollt sich sausend ab.

Ein Stündchen noch, das letzte heut,

Und stäubend rieselt in sein Grab,

Was einstens war lebend'ge Zeit.

Ich harre stumm.



's ist tiefe Nacht!

Ob wohl ein Auge offen noch?

In diesen Mauern rüttelt dein

Verinnen, Zeit! Mir schaudert; doch

Es will die letzte Stunde sein

Einsam durchwacht,



Gesehen all,

Was ich begangen und gedacht.

Was mir aus Haupt und Herzen stieg,

Das steht nun eine ernste Wacht

Am Himmelstor. O halber Sieg!

O schwerer Fall!



Wie reißt der Wind

Am Fensterkreuze! Ja es will

Auf Sturmesfittichen das Jahr

Zerstäuben, nicht ein Schatten still

Verhauchen unterm Sternenklar.

Du Sündenkind,



War nicht ein hohl

Und heimlich Sausen jeder Tag

In deiner wüsten Brust Verließ,

Wo langsam Stein an Stein zerbrach,

Wenn es den kalten Odem stieß

Vom starren Pol?



Mein Lämpchen will

Verlöschen, und begierig saugt

Der Docht den letzten Tropfen Öl.

Ist so mein Leben auch verraucht?

Eröffnet sich des Grabes Höhl'

Mir schwarz und still



Wohl in dem Kreis,

Den dieses Jahres Lauf umzieht?

Mein Leben bricht, ich wußt' es lang!

Und dennoch hat dies Herz geglüht

In eitler Leidenschaften Drang!

Mir brüht der Schweiß



Der tiefsten Angst

Auf Stirn und Hand. - Wie dämmert feucht

Ein Stern dort durch die Wolken nicht!

Wär' es der Liebe Stern vielleicht,

Dir zürnend mit dem trüben Licht,

Daß du so bangst?



Horch, welch Gesumm?

Und wieder? Sterbemelodie!

Die Glocke regt den ehrnen Mund.

O Herr, ich falle auf das Knie:

Sei gnädig meiner letzten Stund'!

Das Jahr ist um!




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