Kriminalroman; 2015
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Mit Kriminalromanen ist das so eine Sache bei mir. Ich schreibe zwar selber über Ausgrenzungen und gewaltsamen Tod, es gibt also Tote in meinen eigenen Texten, (und das manchmal haufenweise), aber der klassische Kriminalroman, der den Ermittlern folgt, interessiert mich eigentlich nicht. Da muss noch etwas dabei sein, damit ich nicht zu lesen aufhöre. Und immer wieder stolpere ich über solche Bücher oder werde von Verlegern und Verlegerinnen darauf aufmerksam gemacht. Meistens hat das Setting damit zu tun. Ich habe z.B. gerade einen wunderbaren Krimi aus Südafrika gelesen, über den ich demnächst berichten möchte.
Heute geht es mir um die zwei Bücher meiner Wiener Kollegin,
Clementine Skorpil, die nicht nur Journalistin ist, sondern sich seit ihrem
Studium intensiv mit China auseinandersetzt. Vor ein paar Jahren kam ihr erster
Roman, der in Shanghai 1926 spielt, heraus:
"Gefallene
Blüten"
bei
Ariadne im Argument Verlag, Hamburg 2013, ein Taschenbuch mit 345 Seiten.
Zuerst befürchtete ich, dass mich die Namen heillos
überfordern würden. Aber gleich zu Beginn steht da eine hilfreiche Liste und
spätestens nach den ersten Seiten dachte ich gar nicht mehr daran, die diversen
Kurzsilben zu verwechseln. Und worum geht es?
Ai
Ping ist Witwe, der alten chinesischen Lebensweise verbunden, lebt am Lande mit
der Familie ihres Sohnes. Sie glaubt an traditionelle Werte, ist jedoch
aufmüpfig genug, um sich kleine Freiheiten und Verrücktheiten zu erlauben. Sie
leidet unter der Entfremdung zu ihrem Sohn und vor allem unter dem spurlosen
Verschwinden ihrer schönen Enkelin Pflaumenblüte, die vermutlich einem
Heiratsschwindler aus Shanghai auf den Leim gegangen ist. Ai Ping fasst ihren
Mut zusammen und macht sich auf den beschwerlichen Weg in das Sündenbabel. Mit
ihren verkrüppelten Füßen und ohne Ahnung von der eindringenden westlichen modernen
Welt ist sie 1926 auf Glück und Menschenkenntnis angewiesen. Shanghai wird von
Mafiosi und rivalisierenden politischen Gruppierungen beherrscht. Die Weißen
intrigieren und versuchen, eigene Interessen mit denen aufstrebender Mächtiger
zu verflechten. Zhou Enlai und Mao Zedong sind noch am Beginn ihrer Karriere,
Störenfriede mit Hang zu Streikaufrufen und undurchsichtigen Hintermännern.
Ai Ping findet nicht nur Quartier bei einem skrupellosen Wirt, der seine eigene Tochter verkaufen wird, sondern auch Hilfe bei Lou Mang, dem Sohn eines Opium abhängigen Seidenfabrikanten. Er hat in Paris einige Zeit Medizin studiert, ist einfaches und natürlich illegales Parteimitglied der Kommunisten, und bald überfordert von der alten Dame.
Ai Ping findet nicht nur Quartier bei einem skrupellosen Wirt, der seine eigene Tochter verkaufen wird, sondern auch Hilfe bei Lou Mang, dem Sohn eines Opium abhängigen Seidenfabrikanten. Er hat in Paris einige Zeit Medizin studiert, ist einfaches und natürlich illegales Parteimitglied der Kommunisten, und bald überfordert von der alten Dame.
Clementine
Skorpil erzählt spannend, was den Beiden nun passiert und es kommt zwar nicht
zu einem umfassenden Happyend, dafür passiert einfach zu viel, aber Beide
überleben. Dass man dazwischen sogar herzlich lachen muss, liegt an den
komischen Details, die uns dieser fremde Ort bietet.
Nun
kam der Folgeroman heraus, Guter Mond, du schenkst mir Träume, da wollte
ich natürlich wissen, wie es weitergeht mit der alten Dame und was uns
Clementine Skorpil diesmal an Verbrechen und spannenden Fakten auftischt.
Ein
Jahr ist vergangen. Shanghai wird immer noch von widersprüchlichen
internationalen Interessen beherrscht, von Mächten, die sich mit Verbrechern
verbünden, nicht nur Opium vertreiben, sondern auch das in Europa erfundene
Heroin gewinnbringend einsetzen, die zerstrittenen Kommunisten gegeneinander
ausspielen, das Land mit den War Lords ruinieren. Chaos pur also! Menschen
unterschiedlicher Schichten sehnen sich, ihr Schicksal selbst zu bestimmen,
wollen überleben, ohne auf Würde, Bildung, Güte verzichten zu müssen. Das geht
nicht ohne Gewalt, ohne Verluste, ohne den Schrecken über das Böse und
menschliche Gier. Aber es geht trotzdem mit erstaunlich viel Witz, subtilen
Pointen, großartig geschriebenen Dialogen und Alltagsszenen.
Die Autorin erschafft das lebendige, überzeugende Bild einer
untergegangenen Epoche, zieht Parallelen ohne belehrenden Ton, beschreibt das
Grauen mit einer zu Herzen gehenden Knappheit, die Wunden offen legt, ohne in
ihnen zu bohren.
Ihr hintergründiger Humor zeigt sich auch in folgendem
Detail: der Analphabet und Held Wen Pi lernt lesen und schreiben und verbessert
seine Künste (auch, um einer geheimnisvollen jungen Ausländerin zu imponieren)
mit der Lektüre der ins Chinesische übersetzten Kurzfassung von „Anna
Karenina“. Er versteht Vieles an dieser Geschichte nicht, seine zeilenkurzen
Zusammenfassungen sind geradezu irrwitzig komisch und helfen ihm trotzdem bei
der Beurteilung seiner persönlichen Schwierigkeiten.
Wen Pi ist der älteste Sohn einer zerlumpten, ständig
schwangeren Frau, ein bettelndes Kind mit bettelnden Freunden, die mit
Beutezügen auf der Nordseite des Flusses im reichen Shanghai zu überleben
versuchen. Wen Pi hat das Glück, von Lou Mang aufgenommen zu werden. Ihr
erinnert euch? Das ist der Student, der der alten Ai Ping geholfen hat.
Der auffallend komponierte Titel weist nicht nur auf das
verzehrende Verlangen Wen Pis hin, sondern auf die Rolle, die Opium spielte und
wie niederträchtig es eingesetzt wurde und wird, um Gesellschaften zu
destabilisieren und Menschen beherrschen zu können.
Die Mordserie ist spannend, aber das eigentliche, funkelnde
Leben erhält der Roman durch seine großartigen Szenen, die intelligente Art,
politische Verwicklungen so berührend darzustellen. Denn zum Schluss liebt man
nicht nur Ai Ping und Lou Mang, sondern vor allem den gewitzten Straßenjungen
Wen Pi. Und so nebenher lernt man, dass vergangene Geschichte immer etwas mit
uns zu tun hat, ein Teil von uns ist, auch wenn sie auf einem anderen Kontinent
spielt.