Roman, 2015
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http://www.raoulbiltgen.com/jahrhundertsommer/ |
Die Liebe ist keine Himmelsmacht....
Das dachte ich
mir mitten im Roman, und doch hoffen wir so sehr, dass sie es ist, und dass wir
durch sie zu anderen, besseren, spannenderen Menschen werden.
Da gibt es
also diesen jungen Studenten, der nicht glaubt, dass sich sein Leben je wieder
zum guten wenden kann, weil er plötzlich alleine ist:
„....er braucht sie, weil sie ihm
Gesichtszüge verpasst, die er ohne sie niemals entdeckt hätte.“
Der junge Mann
(er hat keinen Namen) besorgt sich einen Revolver. Er stellt sich dabei
reichlich nervös und ungeübt an, (er bekommt nicht einmal das Stück, das er
eigentlich will,) ist er doch mit Verbrechen und der Gewaltszene nicht
vertraut, sondern einfach ein
unglücklich Verliebter, der im Suizid seine Rettung sieht. Denn sie, die
entzückende Bregenzer Liebe seines letzten Sommers, hat ihn wortlos verlassen.
Nun besitzt er statt der gewünschten Pistole eine Waffe, die er mit
Wildwestfilmen verbindet, und entdeckt, dass es gar nicht so leicht ist, sich
umzubringen. Geschickt versteckt er seine Gefühle vor Freunden, ein trostloser
Narr, der für sich ein spezielles Russisches Roulette erfindet.
Raoul Biltgen
hat eine wunderbar kitschfreie Liebesgeschichte geschrieben, die im Grunde das
Erwachsen Werden zum Thema hat, den Weg zur Erkenntnis, dass Menschen uns verändern,
bereichern und öffnen für andere. Und dass das immer mit Schmerzen verbunden
ist, mit Missverständnissen, Wortlosigkeiten, Leidenschaften, die romantische
Idyllen ad absurdum führen. Selbst in den glücklichsten Augenblicken ist
Einsamkeit präsent. Für diesen Widerspruch hat Raoul Biltgen die passende
Sprache gefunden.
Der Held ist
Student in Wien und verbringt den Sommer als Hilfsarbeiter bei den
Seefestspielen im Bregenz. Es ist brütend heiß, die Sonne scheint ihn
auszubrennen und gleichzeitig aufmerksam für Details zu machen. Denn zufällig
sieht er sie: sie lenkt einen Spielzug für Kinder und deren erschöpfte Eltern
an der Seepromenade. Eine Vorarlbergerin also, von der er wenig Privates
erfahren wird, außer, dass sie sein Leben auf den Kopf stellt. Sie wird mit ihm
ein paar Wochen am Mittelmeer verbringen, eine wunderbare Zeit, die ihn
kompromissloses Lieben lehrt. Niemand kann die Lücke, die sie hinterlässt,
füllen. - Oder doch?
Raoul Biltgen
ist aus dem Luxemburgischen nach Wien gezogen, wo er als Schauspieler,
Dramaturg und Autor arbeitet. Als Dramatiker entwickelt er seinen ersten Roman
fesselnd in zwei Strängen:
Er folgt dem
Helden, erzählt in der Gegenwart von dem Moment des Waffenkaufs weg und wie
sich die folgenden Tage entwickeln. Als wäre das nicht spannend genug,
unterbricht er permanent, um der Erinnerung des Mannes zu folgen, dem
Kennenlernen in der Vergangenheit, der Fahrt ins blinde Glück, der
schmerzlichen Trennung nach diesem Sommer, dem Wiedersehen in Wien: „... so spürt er auch sein Leben als seines,
weil er sich auf ihres eingelassen hat.“
Stilistisch
entpuppt sich Biltgen als Meister in der Tempoführung, verschärft und
drosselt gekonnt, um im überraschenden
Schluss das eigentliche Wesen der Liebe darzustellen. Und das hat er wirklich
gut gemacht! Selten wird er opulent, bevorzugt manchmal radikale, kantige
Beschreibungen. Spannend, wie er die Lebensverdrossenheit seines Helden
nachvollziehbar macht, wie dessen Flucht in eine Schattenwelt Angst weckt, wie
eine unerwartete Kehrtwendung den Höhepunkt noch verstärkt. Dies ist ein
moderner Werther, der seine eigene Lösung finden wird.
Am Ende
verfließen die Erzählstränge ineinander und eröffnen ein weiteres Abenteuer für
den erwachsen gewordenen Mann. Oder auch nicht? Die richtigen Fragen bleiben
offen; auch das spricht für diesen überraschenden Erstling, der in diesem
kleinen, aber feinen österreichischen Verlag innerhalb kürzester Zeit ein
zweites Mal verlegt wurde. Ein sprachlich versierter Roman nicht nur für
lesende Studenten und aufgeweckte junge Frauen. Der Kollege hatte auch mir und
Freundinnen eine ganze Menge mit seinem „Jahrhundertsommer“ zu bieten.
Verlag Wortreich, gebundene Ausgabe
Seiten 232, Euro 19,90
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