In den letzten Monaten habe ich einen Roman überarbeitet und abgeliefert, für einen Kunstband, der im März erscheint, gezeichnet und Sachbücher gelesen, die etwas mit meinem nächsten Roman zu tun haben. Was ich aber vor allem tat, war Bücher zu lesen, die ich aus reinem Vergnügen wählte und die vielleicht schon vor zehn, zwölf Jahren oder gar noch im vorigen Jahrhundert auf deutsch erschienen sind, also als Taschenbücher aufliegen.
Dieses vergnügliche Sommerschmökern hat mir so viel Freude gemacht und mir AutorInnen näher gebracht, die ich ohne dieses Zeitfenster gar nicht entdeckt hätte. Und dieses Erlebnis will ich mit euch teilen.
Fangen wir mit Nick Dybek: Der Himmel über Greene Harbor an
Roman // Original: When captain Flint was still a good man // 2012
Heyne Verlag // 2014 // Übersetzt von Frank Fingerhuth
Nick Dybek wurde 1980 in Michigan geboren, gewann recht schnell einige Kurzgeschichtenpreise und schrieb mit diesem Buch seinen ersten Roman, der zu recht hochgelobt wurde. Er lebt jetzt in New York und ich bin neugierig, wie seine weiteren Roman werden.
In diesem Roman geht es um Väter und Söhne, um Leben unter schwierigen Bedingungen und Berufe, die lebensgefährlich sind. Es geht um Beziehungen, Ängste, Freundschaft, Musik und vor allem um die Fragen: was ist richtig? Was ist böse? Wie entscheide ich mich, wenn alle Möglichkeiten, die ich habe, mich schuldig werden lassen?
Cal ist 14, liebt seine Mutter, vergöttert seinen Vater und weiß, dass die Ehe seiner Eltern, gelinde gesagt, schwierig ist. Aber die Ehen der anderen Eltern scheinen um nichts weniger kompliziert zu sein, was am Beruf der Väter liegt: sie alle fahren jedes Jahr für Monate in die Beringsee und fischen Königskrabben, Lachse, Wale. Zurück im Dorf bleiben Alte, Kinder, einsame Frauen und alle haben Angst, dass ihre Männer ertrinken oder verstümmelt zurückkehren. Loyalty Island liegt auf der Olympic Halbinsel nicht weit von Seattle, gegründet und zu Reichtum geführt von der Gaunt Familie. John Gaunt ist der momentane Patriarch. Alle schätzen ihn und fürchten den Tag der Übergabe an den Sohn Richard, der ein Herumtreiber zu sein scheint, zu sorglos vom Geld des Vaters lebt, nichts vom Fischfang versteht und wie viele Familien davon leben und abhängig sind.
John ist außerdem ein Freund von Cals Mutter, mit der er die Liebe zur Musik teilt und die Erinnerungen an andere Länder und Lebensweisen. Cal versteht, warum seine Mutter unter ihrer Einsamkeit leidet und warum sie jedes Jahr mit ihm für kurze Zeit nach Santa Cruz fliegt. Aber er versteht auch die Einsamkeit seines Vaters und fühlt sich zerrissen von seinen Loyalitäten.
Als John stirbt und sein Sohn Richard in einer dramatischen Szene kundtut, dass er an die Japaner verkaufen möchte, ist klar, dass etwas Schreckliches passieren wird, dass Väter etwas Gewalttätiges vorhaben.
Ich will nicht zuviel verraten, doch Nick Dybek schürt die Spannung. Wir erfahren nur häppchenweise aus der Perspektive Cals, was in diesen Wochen bis Weihnachten das Leben aller verändern wird. Cal, der von Robert Louis Stevensons Schatzinsel als Bub geprägt wurde, entdeckt Geheimnisse, die ihn überfordern, muss mit Kummer und Vernachlässigung umgehen lernen, mit der Schuld, einen Freund nicht immer richtig behandelt zu haben, mit dem Wissen, dass manche Entscheidungen die Unschuld für immer rauben.
Ich konnte das Buch nicht aus der Hand legen. Immer, wenn ich dachte, es geht nicht spannender, es kann nicht schlimmer kommen und gleichzeitig so unerwartet rührend, wurde ich überrascht. Dieser Roman ist ein Thriller, ein Liebesroman, ein Naturepos und eine Heldengeschichte, wobei die wahren Helden allesamt Versager sind. Ich verstehe die großartigen Kritiken, die er vor fünf, sechs Jahren erhielt. Denn es ist ein Entwicklungsroman, den man in jedem Alter lesen mag und wieder aufschlägt und nochmals liest.
Etwas ganz anderes bietet Kate Grenville mit Sarahs Traum.
Roman // Originaltitel: Sarah Thornhill // 2011
C.Bertelsmann Verlag // 2014 // Aus dem Englischen von Karina Of
Über Grenvilles Buch "The secret river", „Der geheime Fluss“ stolperte ich während meines Australienaufenthalts 2012. Es sollte der erste Band einer Trilogie sein und gefiel mir sehr. Ganz anders war der zweite Band konzipiert, in dem das europäische Denken und Erbe im Leben des „Sternenlesers“ viel größere Bedeutung und mehr Raum hat. Als ich daher jetzt in einer Buchhandlung über „Sarahs Traum“ stolperte und dann auch noch las, dass es mit dem Orange Prize ausgezeichnet worden war, musste ich zugreifen.
Alle ihre Bücher haben mit der Kolonialisierung Australiens zu tun, mit der Gegend rund um Sydney. Diesmal geht es um eine Familie, die zu Reichtum gekommen ist, aber sozial noch immer ein wenig stigmatisiert ist, denn Sarah Thornhills Vater war britischer Sträfling. Nach Verbüßung seiner Strafe wurde er erfolgreicher Siedler, Geschäftsmann, beteiligt an Flussschiffsfahrt und bei den Projekten anderer Handelstreibender. Sein Reichtum macht die Töchter zu guten Partien, wenn sie klug wählen. Doch in einem Land, dessen weiße Gesellschaft sich gerade selbst erschafft, ist das gar nicht so leicht.
Hinzu kommt, dass Sarah zwar die sozialen Brüche in ihrem Umfeld schon früh wahrnimmt, aber nicht erkennt, dass die Regeln auch für sie gelten. Denn die Zwänge dieser jungen Gesellschaft sind viel brutaler als alle wahrhaben wollen. Während Sarah sich in einem befreundeten Mischling verliebt, kommt sie dem ersten Familiengeheimnis auf die Spur.
Was in der Zusammenfassung vielleicht ein bisschen platt klingt, ist wirklich gut geschrieben, weil Grenville wunderbar recherchiert, gut schreibt und dem Kitsch erfolgreich ausweicht, selbst wenn alles dazu einlädt. Es geht in diesem Roman um Verlogenheit, Gier, die Liebe natürlich und wie sich Liebe auch aus Vernunft entwickeln kann und zu einer Art von leidenschaftlicher Freundschaft wird. Es geht darum, wie man mit der Schuld der Väter umgehen kann.
Auch in diesem Buch müssen Kinder über ihre Loyalität Eltern gegenüber entscheiden, ein Urteil fällen und eine Entscheidung treffen. Sarah ist eine starke junge Frau und sie erkennt, in welchen Bereichen sie ihren Geschwistern ähnelt und in welchen sie völlig eigenständig agieren muss. Und vor allem erkennt Sarah, dass „gut gemeint“ sehr oft fürchterliche Folgen haben kann.
Kate Grenville hat es wieder geschafft, mit einem spannenden historischen Roman dazustellen, was Heimat für jeden Einzelnen bedeuten kann und dass die Vielfalt der Kulturen ein Gewinn für alle sein könnte. Alle drei Bücher (Der zweite heißt „Der Sternenleser“) können völlig voneinander getrennt gelesen werden, sind komplett eigenständige Geschichten und ergeben doch zusammen ein großartiges Bild des frühen weißen Australiens.
Dieses vergnügliche Sommerschmökern hat mir so viel Freude gemacht und mir AutorInnen näher gebracht, die ich ohne dieses Zeitfenster gar nicht entdeckt hätte. Und dieses Erlebnis will ich mit euch teilen.
Fangen wir mit Nick Dybek: Der Himmel über Greene Harbor an
Roman // Original: When captain Flint was still a good man // 2012
Heyne Verlag // 2014 // Übersetzt von Frank Fingerhuth
https://www.abebooks.de/9783453413559/Himmel-Greene-Harbor-3453413555/plp |
In diesem Roman geht es um Väter und Söhne, um Leben unter schwierigen Bedingungen und Berufe, die lebensgefährlich sind. Es geht um Beziehungen, Ängste, Freundschaft, Musik und vor allem um die Fragen: was ist richtig? Was ist böse? Wie entscheide ich mich, wenn alle Möglichkeiten, die ich habe, mich schuldig werden lassen?
Cal ist 14, liebt seine Mutter, vergöttert seinen Vater und weiß, dass die Ehe seiner Eltern, gelinde gesagt, schwierig ist. Aber die Ehen der anderen Eltern scheinen um nichts weniger kompliziert zu sein, was am Beruf der Väter liegt: sie alle fahren jedes Jahr für Monate in die Beringsee und fischen Königskrabben, Lachse, Wale. Zurück im Dorf bleiben Alte, Kinder, einsame Frauen und alle haben Angst, dass ihre Männer ertrinken oder verstümmelt zurückkehren. Loyalty Island liegt auf der Olympic Halbinsel nicht weit von Seattle, gegründet und zu Reichtum geführt von der Gaunt Familie. John Gaunt ist der momentane Patriarch. Alle schätzen ihn und fürchten den Tag der Übergabe an den Sohn Richard, der ein Herumtreiber zu sein scheint, zu sorglos vom Geld des Vaters lebt, nichts vom Fischfang versteht und wie viele Familien davon leben und abhängig sind.
John ist außerdem ein Freund von Cals Mutter, mit der er die Liebe zur Musik teilt und die Erinnerungen an andere Länder und Lebensweisen. Cal versteht, warum seine Mutter unter ihrer Einsamkeit leidet und warum sie jedes Jahr mit ihm für kurze Zeit nach Santa Cruz fliegt. Aber er versteht auch die Einsamkeit seines Vaters und fühlt sich zerrissen von seinen Loyalitäten.
Als John stirbt und sein Sohn Richard in einer dramatischen Szene kundtut, dass er an die Japaner verkaufen möchte, ist klar, dass etwas Schreckliches passieren wird, dass Väter etwas Gewalttätiges vorhaben.
Ich will nicht zuviel verraten, doch Nick Dybek schürt die Spannung. Wir erfahren nur häppchenweise aus der Perspektive Cals, was in diesen Wochen bis Weihnachten das Leben aller verändern wird. Cal, der von Robert Louis Stevensons Schatzinsel als Bub geprägt wurde, entdeckt Geheimnisse, die ihn überfordern, muss mit Kummer und Vernachlässigung umgehen lernen, mit der Schuld, einen Freund nicht immer richtig behandelt zu haben, mit dem Wissen, dass manche Entscheidungen die Unschuld für immer rauben.
Ich konnte das Buch nicht aus der Hand legen. Immer, wenn ich dachte, es geht nicht spannender, es kann nicht schlimmer kommen und gleichzeitig so unerwartet rührend, wurde ich überrascht. Dieser Roman ist ein Thriller, ein Liebesroman, ein Naturepos und eine Heldengeschichte, wobei die wahren Helden allesamt Versager sind. Ich verstehe die großartigen Kritiken, die er vor fünf, sechs Jahren erhielt. Denn es ist ein Entwicklungsroman, den man in jedem Alter lesen mag und wieder aufschlägt und nochmals liest.
Etwas ganz anderes bietet Kate Grenville mit Sarahs Traum.
Roman // Originaltitel: Sarah Thornhill // 2011
C.Bertelsmann Verlag // 2014 // Aus dem Englischen von Karina Of
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Über Grenvilles Buch "The secret river", „Der geheime Fluss“ stolperte ich während meines Australienaufenthalts 2012. Es sollte der erste Band einer Trilogie sein und gefiel mir sehr. Ganz anders war der zweite Band konzipiert, in dem das europäische Denken und Erbe im Leben des „Sternenlesers“ viel größere Bedeutung und mehr Raum hat. Als ich daher jetzt in einer Buchhandlung über „Sarahs Traum“ stolperte und dann auch noch las, dass es mit dem Orange Prize ausgezeichnet worden war, musste ich zugreifen.
Alle ihre Bücher haben mit der Kolonialisierung Australiens zu tun, mit der Gegend rund um Sydney. Diesmal geht es um eine Familie, die zu Reichtum gekommen ist, aber sozial noch immer ein wenig stigmatisiert ist, denn Sarah Thornhills Vater war britischer Sträfling. Nach Verbüßung seiner Strafe wurde er erfolgreicher Siedler, Geschäftsmann, beteiligt an Flussschiffsfahrt und bei den Projekten anderer Handelstreibender. Sein Reichtum macht die Töchter zu guten Partien, wenn sie klug wählen. Doch in einem Land, dessen weiße Gesellschaft sich gerade selbst erschafft, ist das gar nicht so leicht.
Hinzu kommt, dass Sarah zwar die sozialen Brüche in ihrem Umfeld schon früh wahrnimmt, aber nicht erkennt, dass die Regeln auch für sie gelten. Denn die Zwänge dieser jungen Gesellschaft sind viel brutaler als alle wahrhaben wollen. Während Sarah sich in einem befreundeten Mischling verliebt, kommt sie dem ersten Familiengeheimnis auf die Spur.
Was in der Zusammenfassung vielleicht ein bisschen platt klingt, ist wirklich gut geschrieben, weil Grenville wunderbar recherchiert, gut schreibt und dem Kitsch erfolgreich ausweicht, selbst wenn alles dazu einlädt. Es geht in diesem Roman um Verlogenheit, Gier, die Liebe natürlich und wie sich Liebe auch aus Vernunft entwickeln kann und zu einer Art von leidenschaftlicher Freundschaft wird. Es geht darum, wie man mit der Schuld der Väter umgehen kann.
Auch in diesem Buch müssen Kinder über ihre Loyalität Eltern gegenüber entscheiden, ein Urteil fällen und eine Entscheidung treffen. Sarah ist eine starke junge Frau und sie erkennt, in welchen Bereichen sie ihren Geschwistern ähnelt und in welchen sie völlig eigenständig agieren muss. Und vor allem erkennt Sarah, dass „gut gemeint“ sehr oft fürchterliche Folgen haben kann.
Kate Grenville hat es wieder geschafft, mit einem spannenden historischen Roman dazustellen, was Heimat für jeden Einzelnen bedeuten kann und dass die Vielfalt der Kulturen ein Gewinn für alle sein könnte. Alle drei Bücher (Der zweite heißt „Der Sternenleser“) können völlig voneinander getrennt gelesen werden, sind komplett eigenständige Geschichten und ergeben doch zusammen ein großartiges Bild des frühen weißen Australiens.
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