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Unterwegs in Asien mit Beatrix Kramlovsky:
Das mit der Exotik in der Fremde



10. - 14.1.2018

Was macht den Zauber in der Ferne aus?
Natürlich hat es etwas mit der eigenen Erfahrung und der Muße zu tun. Müsste ich hier acht Stunden täglich in einem Büro sitzen, wäre mein Zugang zur Region ein anderer. (Übrigens habe ich hier in den In-Cafés, dieser neuesten Modeerscheinung in Thailand, das erste Mal geballt außerhalb Bangkoks junge Leute in schwarzen Anzügen und dunklen Kostümen gesehen, selbst in den Kleinstädten des Issan. Sie, die Büroangestellten, können sich das Luxusgetränk mit ihren Löhnen leisten).
Ins Auge stechen mir in der Fremde die Kleidung der Einwohner, ungewohnte Farben, ungewohnte Pflanzen und Blattformen. (Erst vor wenigen Jahren wurde mir klar, wie sehr sich Heimat auch über vertraute Büsche und Nutzpflanzen definiert, selbst für Stadtmenschen). Außerdem fallen mir architektonische Besonderheiten auf. Erst dann folgen Schriftbilder, Sprachen, Rituale, Gewohnheiten. Nicht alles, was mir fremd ist, muss weit weg sein. Mir erscheint eine ganze Menge in Österreich immer wieder unverständlich, fremd bis hin zu exotisch, das für mich schon eine bereichernde, fröhliche, positive Konnotation hat. (Politik gehört also nie in meinen „exotischen“ Erfahrungsbereich.)

Hier im Issan ist für mich zum Beispiel mitten in der an sich uninteressanten Provinzstadt Buri Ram, deren alter Kern verschwunden ist bis auf ein paar dunkle Tempelmauern auf einem erloschenen Vulkanhügelchen im Zentrum, ein winziges Hotel exotisch.
Es liegt versteckt in einer Gartenlandschaft hinter Firmen- und Geschäftsgebäuden. Auf der Schmalseite hin zur mehrspurigen Straße liegt das dazu gehörige Dream Café (Ja, alles dieser Art scheint in Thailand momentan „Dream“ im Namen führen zu müssen, egal, ob die Besitzer englisch verstehen oder nicht). Licht und Schatten mithilfe von Bambus und gezielter Palmenpflanzung, westliche Möbel, bequem trrotz reduzierter Eleganz, fast kein Kitsch! Dahinter geht es in den tieferen Gartenbereich mit dem kleinen Hotel, zwei Teichen, dem Wohnhaus des Besitzers, einem winzigen Wäldchen dahinter. Gebaut wurde das Ganze von einem Amerikaner, der mit Mondrian-Bildern aus großen Glasscheiben und gegossenen Betonplatten (Drei- Vier- und Fünfeck) etwas erschuf, das Wurzeln bei P.Klee, Le Corbusier und F.L.Wright verrät und das ich in dieser Qualität hier nie erwartet hätte. Das Besitzerpaar ist um die Fünfzig, Thai beide, aber eine Schwester hat nach Amerika geheiratet, weshalb sie sich intensiv mit westlicher Kultur auseinandersetzen.
Diese Mischung aus zwei so unterschiedlichen Formensprachen entzückt mich – und bildet tatsächlich eine exotische Insel hier.

Auf der Fahrt später durch die Hochebene Richtung Nordosten zum Mekong werde ich immer wieder auf diesen seit Jahrthunderten bestehenden Austausch stoßen. Hat nicht der Amerikaner Jim Thompson aus seiner Begeisterung für die spezielle Thaiseide die fast ruinierte Industrie mit viel Engagement in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wieder zum Leben erweckt? Wo wäre diese Handwerkskunst heute, hätte es diesen geheimnisvollen Mann nicht gegeben? Malaysia, Thailand, Indonesien, Vietnam sind voll mit Geschichten von außerordentlichen Menschen unterschiedlichster Nationalität, die sich neue Heimaten suchten und die nicht den Bürokraten und Militärs der Kolonialmächte zuzuordnen waren.

Ein großartiges Buch aus dieser Fremde habe ich gerade gelesen:

Tan Twan Eng: The Garden of Evening Mists
http://www.gregoryandcompany.co.uk/assets_
cm/files/image/twan_garde_of_evening_mists_uk_canongate.jpg

Das Buch erschien 2012 in Großbritannien, erhielt sofort einige Preise und ist leider, soviel ich weiß, noch nicht auf deutsch erschienen. Tan Twan Eng ist malaysische Chinesin und ihr Interesse gehört den unterschiedlichen Völkern, die das moderne Malaysia bilden.
Der Garten der Abendnebel erzählt nur vordergründigdie Geschichte eines außergewöhnlichen Gartens auf der Halbinsel Penang. Eigentlich geht es um Schuld, Verzeihen und das Überleben von schrecklichen Umständen. Drei zeitliche Erzählebenen wechseln : die Heldin Yun Ling, Tochter einer reichen chinesischen Familie, ist als Sechzigjährige eine der höchsten Richterinnen des Landes, die sich plötzlich beurlauben läßt und nach Yugiri, ihren Besitz auf Penang zurückzieht. Nur ihr Jugendfreund Frederik, der auch gleichzeitig ihr Nachbar dort und Teeplantagenbesitzer ist, erfährt, warum sie das tut. Die zweite Zeitebene spielt in den späten Fünfziger Jahren, als Malaya, das sich dann nach der Staatsgründung Malaysia nannte, darum kämpfte, von den kommunistischen Partisanen nicht übernommen zu werden (übrigens das einzige Land der Erde, das das in einem 12-jährigen Guerillakrieg geschafft hat). Damals ist Yun Ling knappe dreißig, hat ihre ersten Erfahrungen als Anwältin gemacht, geht eine komplizierte Liebesgeschichte ein und kämpft sowohl gegen die Schatten in ihrer Vergangenheit als auch für eine demokratische Zukunft ihres Landes. Die dritte Zeitebene spielt in den letzten Jahren des 2. Weltkriegs, als die Japaner in Malaya wüteten.
Die Geschichte beginnt langsam, aber die klug platzierten Irritationen machen klar, dass hier ungeheure Dramen lauern. Es gibt nur ein kleines Personal, man merkt sich also alle Namen leicht und verliert die Übersicht nie. Das Tempo beschleunigt sich gegen Schluß, immer wieder ergeben sich neue Wendungen, die das Schlimme noch verstärken – und die Liebesgeschichten (es gibt mehrere) leuchten lassen.
Mehr will ich gar nicht verraten. Aber man lernt so nebenbei nicht nur Geschichte, sondern auch viel über die unterschiedlichen Völker, das Klima, die Landschaften. Und das alles in einer hinreißenden Sprache, die erklärt, warum die Autorin auch für ihren zweiten Band auf der Shortlist des Man Booker Preises 2013 aufschien.

Zurück zu mir und nach Thailand!

Der Mekong ist schon flußabwärts von Nakhon Phanom ein breiter brauner tiefer Strom. Beständig kreuzen ihn Fähren und schmale Langboote, hoch beladen mit Kisten und Säcken. Noch vor fünf Jahren war so ein intensiver Grenzverkehr nicht denkbar. Gleich hinter dem Thai Zollgebäude in That Phanom zum Beispiel liegt nun ein eigener laotischer Markt. Spannend, was die Männer über die steile Uferböschung hinunter schleppen: Fernsehgeräte, rote und blaue stapelbare Plastikstühle in Dutzendpackungen für Garküchen und Restaurants drüben, Fliesen. Herüber kommen chinesische Kinderbekleidung, Parkas mit Kunstpelz für Erwachsene. (Im Moment haben wir kalte Nächte und untertags um 20 Grad; das empfinden Thais als ziemlich kühl.)
Sowohl im hübschen Tempelbezirk von That Phanom als aich in Nakhom Phanom sehen wir immer wieder Laoten, erkenntlich an den Mustern ihrer Röcke. Die meisten jungen Leute tragen westliche Kleidung, aber die traditionellen Röcke sind noch nicht verschwunden,Markte und Geschäfte sind voll damit.
Was wir nicht mehr finden: die vietnamesischen Siedlungen erkannten wir vor Jahren noch an den Holzgestellen, wo zum Trocknen die hauchdünnen Teigscheiben aufgehängt waren, die man für Frühlingsrollen und Ähnliches braucht. Viele Dörfer haben nun eine vierspurige Straße statt der frühreren engen Hauptstraße, die manche Siedlungen richtig zerschneidet – und Produktionsstätten wurden in Hinterhöfe ausgelagert.

Flußaufwärts finden wir in einem winzigen Dorf direkt am Strom ein Privatzimmer. Bad, überdachte Terrasse, alles auf Stelzen wie es sich für ein traditionelles Teakholzhaus gehört, nur fehlen bei uns die Schweine und Hühner unter der Veranda. Der Wind pfeift kalt den Mekong entlang, alte Frauen gießen die Gemüsebeete auf den Schlammterrassen, die der Fluss jedes Jahr im Spätfrühling überschwemmt.

Den weiten Bogen den Mekong entlang, an Vientiane auf der laotischen Seite vorbei, führt uns der Weg zu Ben und Mike, einem thailändisch-kanadischen Paar, das wir vor 5 Jahren hier kennen gelernt haben. Damals hatten sie am Fluß ein großes Grundstück gekauft, ihr kleines Zuhause und zwei Gästehäuschen gebaut und beschlossen, ihr Leben hier neu anzufangen.

Mittlerweile ist der Garten eine grüne Schattenoase und die Westostsymbiose funktioniert noch immer. Ben war in ihrem früheren Leben Lehrerin in der Hauptstadt, Mike kam in einem Urlaub nach Bangkok und lernte Ben kennen und lieben. Ein halbes Jahr tourten sie gemeinsam durch das Land, um den perfekten Platz für ihre Zukunft zu finden, entfernt genug von ihrem Clan (Thaifamilien können sehr dominant bei ihren jungen Mitgliedern sein; Privatsphäre bedeutet etwas anderes als bei uns).

Die Zeichnung, die ich vor fünf Jahren vom gerade fertig gestellten Haus gemacht habe, hängt wunderschön gerahmt in ihrem Wohnzhimmer. Frangipani, die Palme und die chinesische Rose, ein im Frühling weiß blühender Baum, der unzählige Schmetterlinge anzieht, überragen nun schon das Dach und spenden der ausladenden Terrasse Schatten.
Nein, sagte Mike, Heimweh habe er nicht. Nur manchmal fehle ihm eine dunkle Fichte oder ein Bier mit seinem besten Freund. An seinen früheren Beruf denke er seit Jahren nicht mehr.
Ben vermisst die Kinder. Aber sie laden die gesamte Dorfschule immer wieder ein auf ihr Gelände, um ein Barbecue zu veranstalten. Die armen Bauernkinder lieben Fleisch und die Möglichkeit, sich einmal daran satt zu essen.
Wir sitzen und schauen den Reihern am Strom zu. Hier gibt es viele Sandinseln, die mit dichtem Gras bewachsen sind. Immer wieder steigen Vögel von Nestern auf. Die Fahrtrinne befindet sich hier an der laotischen Seite. Wir erkennen drüben im Dorf neue Häuser, auf der Uferstraße fahren nicht nur Kleinlaster, sondern schon Personenwagen. Offensichtlich hat der Aufschwung drüben wirklich begonnen. DerMekong ist hier fast einen Kilometer breit. Aber auf der laotischen Seite reichen die Berge bis ans Ufer: sie können die Veränderungen hier sehen, wir die wachsende Infrastruktur drüben.

Ich stelle mir vor, wie es in der Jungsteinzeit gewesen sein kann. Nicht weit von hier, ungefähr 20 Km Luftlinie befindet sich ein alter verwitterter Hügel mit riesigen überhängenden Steinen und Höhlen, der vor mehreren tausend Jahren schon von Menschen im Issan genutzt wurde. Wir waren vor fünf Jahren dort. Man kann unter die Überhänge kriechen und die Felszeichnungen anschauen. Kultgegenstände und Keramik befinden sich in einem exzellenten kleinen Museum wenige Dörfer weiter. Wenn man dem Weg zwischen den steinzeitlichen Wohnhöhlen folgt, kommt man zum Kamm des Hügels, der vor ca. 1600 Jahren von ersten buddhistischen Mönchen genutzt wurde. Es gibt in den Sandstein gehauene Bänke, Schlafstellen für Eremiten, Buddhadarstellungen. Wenige Touristen finden hierher. Es ist ein so friedlicher Ort, der klarmacht, dass wir nur ein Glied in der Kette sind und uns oft viel zu ernst nehmen.
Ich weiß, dass der Mekong immer auch ein Fluß der Auseinandersetzungen war, aber hier vermittelt er mir sehr viel Ruhe und Kraft. Ich habe ihn an verschiedenen Stellen in vier Ländern erleben dürfen; vor allem haben die Völker, die ich besuchen konnte, mein Bild von ihm geprägt.
Aber jetzt führt die Reise weiter – zurück ins Landesinnere und durch die großen Wälder hinauf in den Norden zu den Freunden, die im Goldenen Dreieck schon auf uns warten.


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