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Unterwegs in Asien mit Beatrix Kramlovsky: Kinder und Leute


15.-23.1.2018

Dort, wo der Mekong aus dem laotischen Norden kommt und scharf nach links abbiegt, braun schäumend zwischen steilen Bergen und Felsflanken, und trotzdem immer noch die ruhigen Sandbuchten aufweist, wo sich abends die Bauern versammeln und baden (Frauen und Männer getrennt), verlassen wir den Strom und fahren Richtung Westen ins Landesinnere nach Sukhothai. Die alte Stadt ist vor Ayuttaya und Bangkok eine der großen Königsstädte gewesen. Es lohnt sich, mit Muße durch die riesige Tempelanlage und die Ruinen zu wandern. Wir haben das schon vor einigen Jahren wiederholt und ausgiebig getan und übernachten daher in der Neustadt, um in einem unserer Lieblingsrestaurants wieder frittierte Bananenblüten zu essen (in köstlicher dünner Panade mit Lauch und viel Bergbasilikum), die man nur selten angeboten bekommt.
Durch Zufall sind wir in einem bemerkenswereten Stadthotel gelandet. Der neue Besitzer ließ den alten Bau schleifen, bewahrte aber alle tragenden Teakbalken und Säulen, sammelte aus anderen Abbruchhäusern die originalen Türschwellen, Holzdielen, Fensterläden (Glasfenster sind eine westliche Erscheinung). Das neue Gästehaus hat alles, was Besucher erwarten (teils gut versteckt), denn es ist dem traditionellen Haus einer Großfamilie nachempfunden: mit schimmernden Teakterrassen unter luftigen Dächern im ersten Stock und bepflanzten Innenhöfen im Parterre.
Wir kennen wenige Thais, die ihre Häuser nach der alten Weise bauen und dafür auch Material sammeln. In spätestens zehn Jahren wird man, dessen bin ich mir sicher, die billigen Betonbauten, die in diesem Klima schnell vergammeln, verabscheuen. Im Moment passieren im ganzen Land, vor allem aber in den durch den Tourismus reicher gewordenen Teilen die Aufbaufehler, die auch wir in den 60-er und 70-er Jahren freudig begangen haben.

Aber ich habe in diesen Jahren in Asien etwas entdeckt, das gleich geblieben ist, eine Nebensächlichkeit vielleicht, aber... Mode!
Die wechselnden Modetrends des Westens gibt es in den teuren Markenboutiquen des Bangkoker Wolkenkratzerviertels für die Reichen und Superreichen. Alle anderen bleiben davon unbeeindruckt. Junge Leute lieben Jeans, das ist klar. Aber ansonsten sind es in Vietnam, Laos, Kambodscha, Myanmar die Nationaltrachten oder austauschbare Billigblusen, Tops, T-Shirts, Volantröcke und Plisseekleider. Auch Maßgeschneidertes folgt nie unseren Trends. Schnitte bleiben über Jahrzehnte gleich. Für mich ein Zeichen, dass diese Gesellschaften noch andere, dringende Bedürfnisse zu stillen haben.

Das bringt mich zu dem Grund, warum wir unbedingt nochmals an die Nordgrenze Thailands fahren wollen. In dieser Gegend gibt es viele Hilfsprojekte für verlassene Kinder, viele Flüchtlinge.
Wer sich für die neue Geschichte dieser Region interessiert, sollte sich darüber im Klaren sein, dass die Täler über Jahrhunderte nur dünn besiedelt waren. Der König forcierte schon zu Beginn seiner Regentschaft die Ansiedlung von Flüchtlingen, die das Land wieder fruchtbar machen sollten (auch, um den blühenden Opiumhandel einzudämmen). Außerdem wurden die Familien der chinesischen Kuomintang mit offenen Armen aufgenommen, denn sie waren verläßliche Kämpfer gegen die kommunistische Guerilla, die bis in die frühen 80-er Jahre in den Grenzwäldern zu China und Laos ihre Lager unterhielten und immer wieder Anschläge in den Städten Thailands verübten (ein Krieg, der im europäischen Bewußtsein nie auftauchte).Und als die Militärjunta Burma übernahm, strömten von dort wieder über Jahrzehnte Flüchtlinge ins Land.
Meist brachten die Eltern ihre Kinder die steilen Berge hinauf, zeigten ihnen die Richtung, in die sie auf der anderen Seite gehen sollten und konnten ihnen vielleicht noch den Namen eines sicheren Dorfes mitgeben. Die Grenze verläuft hier viele Kilometer direkt auf den Bergrücken.
Seit vier Jahren ist sie in Teilstücken befahrbar, ein Abenteuer, wenn man steil hängende Kurven liebt und Militärposten nicht scheut. (Es war ein großartiges Erlebnis, aber wenn sich die Wege nicht verbessert haben, brauche ich keine Wiederholung!)
Im dichten Wald auf Thaiseite verstecken sich winzige Dörfer der Bergstämme, die sich auf bestimmte Gemüsesorten oder Blumen spezialisiert haben. Seit einigen Jahren haben viele Dörfer Solaranlagen. Der Opiumanbau, der dem Goldenen Dreieck seinen schlechten Ruf damals einbrachte, ist zumindest in Thailand unwichtig geworden. Das Opium Museum direkt an der Grenze zu Laos ist übrigens großartig aufgebaut und wirklich sehenswert. Dass es dort auch Casinos und Ressorts der Spitzenluxusklasse gibt, umgeben von erbärmlicher Armut, zeigtnur die Zerrissenheit der Gesellschaft.

Viele der jungen Flüchtlinge hatten in den letzten Jahrzehnten wenig Chancen. Sie sprachen wenig oder kein Thai, hatten keine Ausbildung, waren vom ohnehin schlechten Sozialnetz ausgeschlossen. Viele verschwanden in den Sexvierteln Bangkoks und Patthayas. Viele starben an Aids. Viele kamen krank in die Bergfe zurück, um als Ausgestoßene am Dorfrand zu vegetieren. Ihre Kinder wurden mit Aids geboren. Für sie und Kinder mit geistigen oder körperlichen Beeinträchtigungen fühlte sich niemand zuständig. Medizinische Hilfe gibt es nur für Thaistaatsbürger (und frei ist sie auch dann nur, wenn man entweder im Staatsdienst ist, ein Kind im Staatsdienst hat oder das Kind eines Beamten ist).
Hier springen christliche Kirchen und westliche Privatinstitutionen ein, meist von Touristen, die aus Liebe zum Land blieben, meist Frauen, gegründet.
Eines dieser Kinderzentren haben wir vor drei Jahren kennengelernt und seitdem unterstützt. Baan Doi wird von einer jungen Salzburgerin geleitet, eine Schweizerin mit ihrer Thaifamilie ist von Beginn an dabei. Das Konzept ist gut, wie bei vielen privaten Initiativen, die wir hier, in Vietnam, in Kambodscha kennenlernen durften. Allen gemeinsam ist die direkte Arbeit vor Ort, das Wissen um örtliche Strukturen und wie man mit Ämtern umgehen muss, eine enge Verbindung ins westliche Mutterland der Gründer, möglichst keine bürkratischen Kosten. Alles bleibt überschaubar und persönlich. Der Schwerpunkt liegt auf liebevoller Zuwendung, Behandlung der Traumata, Schulbildung. Bei Projekten, die wir schon seit mehr als zehn Jahren begleiten, waren wir erstaunt, welch großer Prozentsatz nicht nurSprachhürden meistert, sondern auch College und Universitäten abschließen kann. Ein Gewinn für alle, mit dem wir nicht gerechnet haben.
Die Aufgabe, die viel Diplomatie und Geld verlangt, ist natürlich der Erwerb von Thaipapieren für möglichst alle der Kinder. Das erinnert an die Träume der Flüchtlinge daheim in Europa, auch an die punktuelle Überforderung der Einheimischen, wie ich sie in Wien und Ostösterreich kenne. Es gibt keine Patentrezepte.
Aber zu verfolgen, wie aus verirrten Kindern selbstbewusste und frohe Erwachsene in der Fremde werden, ist eine große Freude.

Wir verbringen einen ganzen Tag auf dem River Kok, einem der schönsten und unberührtesten Flüsse im Norden. Mit 20 Kindern und ihren Pflegern und Betreuerinnen fahren wir auf vier Langbooten die Strecke von Thaton nach Chiang Rai, halten am Ufer, um Picknick auf Bananenblättern zu halten, halten bei einer Elefantenstation, damit die Kinder die Tiere mit grünen Bananen füttern können. Zwei von den kleineren Buben haben noch nie im Leben einen Elefanten gesehen. Sie dachten, Elefanten seien so groß wie Wasserbüffel. Was für ein Staunen, Gequieke, Erschrecken und Zittern – und was für Stolz, als sie es schaffen, ruhig zu warten, bis der Rüssel die Frucht aus ihren klammernden Fingern geholt hat!
In Chiang Rai kommen wir gerade zur abendlichen Eröffnung des Marktes. Um Punkt sechs ertönt wie überall im Land die Hymne, alles steht und schweigt – und widmet sich dann wieder dem Schauen, dem Feilschen, dem Essen.
Unsere Kinder versammeln sich, es gibt die notwendige Medikamentenausgabe und dann dürfen sie eine halbe Stunde im Gewühl verschwinden. Und sind tatsächlich pünktlich wieder alle da!! Als wir endlich daheim ankommen, schlafen die Kleinen schon alle im Bus.
Der Abschied fällt schwer.

Die Strecke nach Chiang Mai zeigt, wie sich das Land verändert hat. Überall wird gebaut. Es gibt zwar immer noch die Reisfelder und je weiter weg man von der Hauptstraße kommt, desto ursprünglicher wird es noch, aber zwischen den Bergen ist dieser Streifen nun schon sehr schmal.
In Chiang Mai treffen wir die Freunde, bei denen wir in den letzten 14 Jahren immer wieder Station machen konnten.
Nur noch eine Nacht und es geht auf nach Borneo.
Aber davon später.......

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