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Unterwegs in Asien mit Beatrix Kramlovsky: In der Stadt der weißen Rajahs


24.-31.1.2018

Borneo war für mich als Kind der pefekte Ort, um Mogli und das Dschungelbuch zu spielen. Unter dem Wohnzimmertisch entstand die Insel in drückender Schwüle und im Dämmerdunkel der Urwaldriesen. Borneo klang für mich viel wilder als Indien. Außerdem gab es dort Kopfjäger! Welcher Ort sonst konnte damit punkten. Später, als ich in die Pubertät kam, reizte mich die Insel mit ihren Langhäusern, versteckt lebendeen Stämmen und natürlich den Orang Utans. All das gab es in den österreichischen Bergen nicht. Je älter ich wurde, desto mehr verlor sich der Märchenglanz. Aber ethnologische Berichte aus der Gegend faszinierten mich immer noch.
Vor knapp 30 Jahren las ich zum ersten Mal Redmond O'Hanlons witzig umwerfenden Reisebericht aus der grünen Urwaldhölle. Und ich wusste, dass die Sehnsucht meiner Kindheit immer noch in mir steckte.

Redmond O'Hanlon: Ins Innere von Borneo

O'Hanlon ist Biologe. 1981 bat ihn sein Freund Fenton, ob er mit ihm nach Borneo reisen könnte, um dort die Fauna und eventuell auch etwas Flora klassifizieren zu können. Er nannte es einen „Jungle-walking holiday“: Borneo besitzt eine Atem raubende Vielfalt und O'Hanlon muss von Anfang an gewusst haben, dass er überfordert sein würde.
1983 ging es los. 1985 erschien das Buch und machte ihn auf einen Schlag berühmt. Denn O'Hanlon ist kein moderner Reisender, der mit Kamerabegleitung und Satellitenüberwachung die Abenteuer besteht. In Borneo blieb ihnen nichts anderes übrig, als auf Booten die Flüsse hinauf zu fahren, denn Straßen gab es damals ins Innere noch nicht. Und O'Hanlon ist übergewichtig und unsportlich.
Sein Onkel Eggie, ein harter Knochen von den Special Forces, trainierte die zwei Männer oder versuchte es, indem er sie innerhalb weniger Minuten an ihr körperliches Limit brachte. Schon der Bericht darüber verursachte bei mir wiehernde Lachstürme. Und ich wusste: wenn einer wie er Borneo überlebte, dann überlebe ich es 40 Jahre später und mit Straßen, die zum Dschungel führen, erst recht.
O'Hanlon beschreibt die Tour als ein verschwitztes, von Insektenwolken überdachtes, körperlich ungeheuer anstrengendes Erlebnis voller Überraschungen und teilweise tragisch grotesker Einblicke in den Alltag der traditionell lebenden Einwohner.
Als ich jetzt wieder darin las, um mich auf meine Drei-Wochen-Inselreise einzustimmen, fand ich das Buch immer noch umwerfend komisch und praktisch, um die richtigen Dinge einzupacken (Er hatte im übrigen Übergepäck um 2000 Pfund (!!!) mit, weil er nicht nur Antibiotika und andere Medikamente als Tauschware mit führte, sondern auch Bücher, um für alles gewappnet zu sein.) Alle seine Werke sind wirklich zu empfehlen: man lernt nebenher eine ganze Menge und unterhält sich dabei blendend.
Natürlich liegt der Schwerpunkt auf Botanik und Tierwelt, aber sein Mitgefühl und seine taktvolle Neugier für die Menschen, denen er begegnen darf, machen ihn speziell liebenswert. O'Hanlons Faktenwissen, gespickt mit Anekdoten und seinem Witz, verführt einfach.

Das zweite Buch, das mir erst vor wenigen Wochen in die Hände fiel, ist Nigel Barleys exzellente Aufbereitung der Brooke Familie, den weißen Rajahs, die Samarak unabhängig von East India Company und den niederländischen Händlerinteressen hielten.

Nigel Barley: White Rajah

https://images-na.ssl-images-amazon.com/images/I/51AHtZrLckL._SY346_.jpg
Nigel Barley ist ein exzellenter Ethnologe, arbeitet am British Museum in London und hat bis jetzt mehrere Bücher über Völker, Riten und seine Reisen geschrieben; Alle sind ein Vergnügen. White Rajah erschien 2002.

Auch hier entblättert Barley Legenden, um der Wahrheit auf die Spur zu kommen.
Alles begann mit James Brooke, dem verwöhnten Sohn eines Briten, der in Indien reich geworden war und seine diversen Kinder abgöttisch liebte. James musste zwar aufs Internat nach England, fand aber schnell heraus, dass ihm das nicht behagte und er sich den für ihn notwendigen Schulstoff selbst aussuchen sollte! Das tat er auch. Er war ein Vielleser, überzeugt von sich, ein schlechter Kaufmann, tapferer Soldat mit Hang zu blöden, aber mutig erscheinenden Attacken, die ihm eine schwere Verwundung und einen legendären Ruf eintrugen. Als er um 1835 nach Asien zurückkehrte, hatte er jede Menge Freunde und gewann mit seinem Charme, seinem guten Aussehen und seinen Idealen (alle im Widerspruch zur Ausbeutermentalität der europäischen Länder). Sein Talent, Männer aller Religionszugehörigkeiten und Völker zu treuen Freunden zu machen, half ihm bei der Erreichtung seinen eigenen Staatswesens von Samarak.
Es wurde ein Familienbetrieb. Der Sultan von Brunei und die Stämme riefen ihn zum ersten weißen Rajah aus, sein Neffe Charles, ein begabter Analyst und Manager, denselben Idealen ergeben, wies sich guter Nachfolger aus, desgleichen Nummer 3 und Nummer 4. Marianne, die Frau des 3. Rajahs, führte die allgemeine Schulbildung ein und förderte vor allem die Stammesfrauen der Iban und Dayak. Silvia, die Frau des letzten Rajahs, belebte in phantastischen malaischen Gewändern die Londoner Society, war Protegé von George Bernard Shaw und schrieb Stücke.
Aus Mariannes publizierten Erinnerungen wollte Errol Flynn einen Hollywoodschinken drehen, aber das verweigerte die selbstbewusste Frau, weil sie Verfälschungen fürchtete.
Nigel Barleys Buch ist präzise und spannend, ausufernd in Quellenzitaten, aber immer interesssant und farbenfroh.

Ich war also gespannt auf Kuching, das wir wegen kleinerer Schwierigkeiten und längerer technischer Verzögerungen nach 17 Stunden Reisezeit von Northailand aus erreichten (Gewitter sind in dieser Gegend immer eine gut funktionierende Ausrede oder Erklärung.)
Kuching hat Charme.
Das Zentrum am Fluss ist überschaubar und alles kann zu Fuß erreicht werden (was natürlich nur Weiße tun). Die Regierungsgebäude der Brokkes stehen immer noch, schön restauriert, und dienen als Museen, Infozentren und Verweilplätze. Das chinesische Händlerquartier bietet jede Menge Medizin, Essen, Flechtarbeiten, Möbel; das indische wartet mit Billigtextilien und traditionell gewebter Baumwollbekleidung auf. Backpackerquartiere befinden sich ebenfalls hier im Schatten der vier oder fünf Wolkenkratzerhotels der gehobenen Klasse.
Auf der Uferpromenade spielt es sich ab. Musiker treten auf, Flohmärkte werden abgehalten, Cafés reihen sich aneinander und die Bootsanlegestellen tragen zum bunten Durcheinander bei. Gleich am anderen Ufer steht eine umgedrehte goldene Puddingform auf Spitzbögen, das Parlamentsgebäude Sarawaks. Daneben klein und schimmernd weiß Fort Margerita, die Festung der Brookes, von der nie ein Schuß abgefeuert wurde. Jetzt befindet sich darin ein entzückendes Museum über die Rajahs mit jeder Menge Bildmaterial.
Kuching wirkt wie eine Kleinstadt, obwohl sie über 600.000 Einwohner hat. Steht man auf einer Dachterrasse und sieht weit übers Land, bemerkt man am Horizont weitere Hochhäuser, offensichtlich der Wirtschaftshafen an der Mündung des Flusses.Dazwischen liegen Reihenhaussiedlungen und kleine Shopping Malls. Die Straßen sind sauber, Plastikmüll findet sich nur bei den Hütten der ganz Armen. Aber Sarawak profitiert von einer wirklich funktionierenden Müllentsorgung, die bereits die weißen Rajas einführten! Es ist auffallend, wie gepflegt auch die Überlandstraßen sind (die natürlich relativ neu sind).

Die Menschen sind freundlich, wollen sofort wissen, woher ich komme – wobei mich nur Chinesen, Iban, Dayak und Inder ansprechen oder muslimische Frauen. Malaische Muslime ignorieren mich und wenden sich direkt an meinen Mann.
Man ist schnell in Gespräche verwickelt, selbst wenn das Englisch schwer verständlich ist. In den letzten Jahren scheinen massive gesellschaftliche Umwälzungen zu geschehen. Immer mehr Chinesen und nicht muslimische Borneostämmige versuchen, genügend Geld aufzutreiben, um ihren Kindern ein Studium in Australien, Singapore oder den USA zu ermöglichen. Denn seit einigen Jahren stehen bestimmte Berufszweige und Studien nur Muslimen offen. Es ist eine Art inoffizielle Zensur.
Noch immer sieht man Muslima in farbiger Kleidung, fast keine Mäntel und Umhänge schon gar nicht. Oft mit Kopftuch und Jeans. Einmal sah ich eine junge Frau mit Kopftuch und Minikleid, eine Kombination, die in arabischen Ländern oder bei meinen Freundinnen im Iran einfach undenkbar wäre. Vor wenigen Jahrzehnten noch waren die kunstvoll bestickten hauchdünnen Batistjäckchen der Musliminnen aus Sarawak geschätzte Haute Couture in Asien. Aber ich höre von Einheimischen, dass fundamentale Strömungen zunehmen.

Die verschiedenen Museen in Kuching sind liebevoll eingerichtet und meist privat gesponsort. Das große Sarawak Museum ist leider bis 2020 geschlossen, weshalb Ausflüge zu traditionellen Langhäusern vermutlich noch wichtiger sind, um ein bißchen von der Kultur der Bergvölker mitzubekommen. Es ist leicht, an die richtigen Orte zu kommen, auch wenn man individuell reist wie wir. Taxis stehen überall, ein fairer Preis ist schnell ausgehandelt. Es sind wenig Weiße unterwegs.
Aber selbst hier begegnen wir Aussteigern aus den USA, knapp über 70, die schon mehrere Jahre hier leben, der eine oben im Nordosten, der andere direkt in Kuching. Immer wieder treffen sie sich für geführte Touren. Der eine führt ein kleines Guesthaus. Der andere interessiert sich für Geologie und besucht alle Vorträge, die die Universität öffentlich anbietet.

Schon in Kuching und Umgebung habe ich Pflanzenformen entdeckt, die ich noch nie gesehen habe. Wie wird es erst im Urwald werden?
Und Orangutans.....
Auf meine Facebookseite stelle ich ein Foto vom ersten Bild eines „Waldmenschen“, das 1710 Europa erreichte. Aber von meiner ersten Begegnung mit ihnen in freier Wildbahn und allem, was noch folgt, erzähle ich erst in einer Woche weiter, direkt aus dem grünen Inneren Borneos.


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