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Sasha Abramsky: Das Haus der zwanzigtausend Bücher

Original: The House of Twentythousand Books // 2014
dtv // 2017 // Aus dem Englischen von Bernd Rullkötter // Erweitert um ein Vorwort von Sasha Abramsky, Mit einem Nachwort von Philipp Blom
382 Seiten // 12, 90 Euro // Taschenbuch

Als Sasha Abramskys Großvater Chimen stirbt und ein Haus mit 20.000 Büchern hinterlässt, wird es Sasha erst richtig klar, wie bedeutend sein Großvater in der intellektuellen Welt war und welchen Schatz er hinterlassen hat. Als Sohn, Enkel und Urenkel berühmter Rabbiner einerseits und führendes Mitglied der Kommunistischen Partei Londons andererseits, unterhielt er einen regen Briefwechsel mit vielen geistigen Größen seiner Zeit und war in seinem Haus in Hillway vielbesuchter Gastgeber der Londoner Linken.
Als  Betreiber der jüdischen Buchhandlung Shapiro, Valentine & Co lernte Chimen alles über seltene Bücher und Handschriften und errichtete  eine der bedeutendsten Privatbibliotheken Englands. Sie beinhaltete eine umfassende sozialistische Sammlung sowie seine Judaica: "Während man sich von einem Zimmer ins andere bewegte, durchwanderte man Hunderte von Jahren der politischen Geschichte Europas und Tausende von Jahren der Philosophie und jüdischen Geschichte".

Da Chimen immer von einer Autobiographie sprach, diese aber nie schrieb, beschließt sein Enkel jetzt über das Leben und Wirken seiner außergewöhnlichen Großeltern zu berichten. Und während Sasha Abramsky von Leben seiner  Großeltern und deren Vorfahren erzählt, ersteht vor den Augen der Leser ein gesellschaftspolitisches Bild des 19. und 20. Jahrhunderts.

Die Originalausgabe "The House of Twentythousands Books" erschien 2014 in England, 2015 erstmalig in deutscher Übersetzung bei dtv. 2016 erfährt Sasha, dass seine Großeltern 15 Jahre lang wegen ihrer langjährigen Zugehörigkeit zur Kommunistischen Partei vom britischen Inlandsgeheimdienst MI5 überwacht wurden, ihnen jedoch keine Spionagetätigkeit nachgewiesen werden konnte. Die Überwachung endete erst als Chimen und seine Frau Mini nach Bekanntwerden von Stalins Gräueltaten aus der Kommunistischen Partei austreten. Nach Sasha entwickelte sich sein Großvater danach vollkommen zum Intellektuellen:
"Doch im Gegensatz zu vielen anderen, die sich vom Kommunismus abgewendet hatten, zog sich Chimen nie ganz aus dem öffentlichen Leben zurück. Stattdessen verlagerte er seine Interessen und vertiefte sich in die Wissenschaft ... ; er bekannte sich zu liberalen Werten und den Rechten des Individuums, statt seine Hoffnung wie früher auf den Klassenkampf zu setzen".

Mit dem "Haus der zwanzigtausend Bücher" hat Sasha Abramsky ein Buch mit ungeheuer viel Informationen über russische Geschichte, die Kommunistische Partei, Sozialismus, alte und neue Denker, Politik, Literatur und jüdische Geschichte geschrieben. Den Rahmen bildet Chimes Lebensgeschichte und die seiner Vorfahren erzählt anhand der verschiedenen Zimmer in Chimens Haus Hillway 5 in East London. Ein tolles, gelehrtes Buch, wenn manchmal auch etwas verwirrend aufgrund der großen Informationsfülle.


Für das Rezensionsexemplar danken wir: 
Dtv Verlag 


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