Direkt zum Hauptbereich

Paulo Coelho: Die Spionin

Roman // Original: A Espiã // 2016 
Diogenes Verlag // 2016 // aus dem Brasilianischen von Maralde Meyer-Minnemann 
192 Seiten // 19,90 Euro // Hardcover Leinen 

Erinnerungen sind voller Launen. Bilder von Erlebtem, selbst kleinste Details, können uns so berühren, dass es uns die Kehle zuschnürt. Der Duft von Brot, das über meiner Zelle gebacken wird, erinnert mich an die Zeiten, in denen ich als freier Mensch die Cafés besuchte - und das ist für mich schlimmer als der Tod oder eine Einsamkeit hier in meiner Zelle. 

Margaretha Zelle setzt in einer Zelle und weiß nicht, ob sie das Ende dieser Woche überleben wird. Sie ist zuversichtlich, dennoch schreibt sie einen Brief an ihren Anwalt, den dieser ihrer Tochter übergeben soll. In Leeuwarden geboren muss sie nach dem Tod ihrer Mutter nach Leiden auf eine Schule, wo sie zur Kindergärtnerin ausgebildet werden soll. Dort bereits mit "schlimmen Dingen" konfrontiert, die Margaretha in ihrem späteren Weg beeinflussen, sehnt sie sich nach der Ferne, um der Langeweile ihrer Heimat zu entgehen. 
So findet sie in den Kontaktanzeigen einer Nachbarstadt die Annonce eines Offiziers aus Niederländisch-Ostindien, der eine passende Ehefrau sucht. Drei Monate später heiratet Margaretha den 21 Jahre älteren Offizier Rudolph MacLeod und reist mit ihm in die verlockende exotische Ferne. Ihre Hoffnungen und Erwartungen werden jedoch bitter enttäuscht und sie ist fast durchgängig in ihrem Haus eingesperrt und überwacht. Eines Tages fasst sie sich ein Herz und lässt ihre Vergangenheit zurück. Ihr Weg führt sie nach Paris, wo sie die Karriere einschlägt, für die sie immer bestimmt war - als Tänzerin Mata Hari. 

Wie konnte das für ein Paradies sein, in dem so gar nichts Aufregendes passierte? Ich war nicht auf der Suche nach Glück, sondern nach dem, was die Franzosen la vraie vie nennen, mit abwechselnd unsagbar schönen und unsagbar traurigen Zeiten, mit Loyalität und Verrat, mit angstvollen und friedvollen Momenten.

Mata Hari. Dieser Name sagt uns allen etwas. Doch wer steckt hinter der schillernden Persönlichkeit? Paulo Coelho gibt ihr in einem Abschiedsbrief an ihre Tochter eine Stimme und lässt Mata Hari auf ihr Leben zurückblicken. Sie schließt mit ihrer Zeit in den Niederlanden und in Niederländisch-Ostindien ab, bis sie schließlich nach Paris kommt und zu der Mata Hari wird, deren Name heute jeder kennt. Letztlich schließt sie ein erschreckendes, ausdrucksstarkes Resümee: Verurteilt wurde ich nicht wegen Verbrechten, die ich tatsächlich begangen habe - und deren größtes es war, in einer von Männer beherrschten Welt eine emanzipierte, unabhängige Frau zu sein. Ich wurde wegen Spionage verurteilt, wo doch all das, was ich geliefert habe, nichts als Klatsch aus den Salons der Haute-Vollée war. 

Die Spionin ist eines der wenigen Bücher, von denen man sich wünschte, dass sie noch länger sind. Nach der letzten Seite spürte ich Bedauern. Denn ich hätte gerne noch mehr über die bewegende Geschichte von Mata Hari erfahren. Doch letztendlich passt dies auch nicht zum Konzept von Paulo Coelho. Denn das Leben der Spionin wird in zwei Abschiedsbriefen geschildert, dort bleibt keine Zeit für 400 Seiten. 

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Ilinca Florian: Das zarte Bellen langer Nächte

Roman // Karl Rauch Verlag // 2020 160 Seiten // 20.00 Euro // gebunden mit Lesebändchen Das zarte Bellen langer Nächte ist ein typisches Buch über eine verlorenen Seele in der Großstadt Berlin und über das Erwachsenwerden. Nach ihrem Studienabschluss weiß Hannah nicht, wohin ihr Weg sie führt. Sie nimmt verschiedene Jobs an, um sich über Wasser zu halten, so arbeitet sie für das KaDeWe oder auch für Zalando bei der Rücknahme von Kleidungsstücken. Bei vor allem letzteren fand ich einen Eindruck in die Arbeitsweise spannend, doch auch dort hält es Hannah nicht lange. Sie ist in gewisser Weise rastlos, ohne hibbelig zu sein, verloren, ohne orientierungslos zu sein: Hannah ist weder traurig noch besonders glücklich. Sie denkt an früher, als sie oft alleine durch den Wald spazierte, der in der Nähe ihres Gymnasiums lag. Hat sie sich verändert? Überhaupt nicht. Seltsam, der Gedanke. Dass man immer der gleiche Mensch bleibt, es werden nur Jahre, Kleidung, ein wenig Schminke und eine g

Der Trubel des akademischen Lebens

ACADEMIA  ist ein statirischer Roman über die Welt der Universitäten und akademischen Weihen. Eve Braintree hat nach der Trennung von ihrem Freund ihre Professorenstelle an der Ostküste aufgegeben, um als Leiterin des Medienzentrums einer renommierten Universität im sonnigen Kalifornien ein neues Leben zu beginnen.  Karen Ruoff: ACADEMIA Roman // Originaltitel: Coming up Ruses Argument Verlag // 2021 // Übersetzt von Christa Schuenke Seiten 400 // 24,00 Euro // Gebunden mit Lesebändchen Als die Budgets der Universität drastisch gekürzt werden, lernt Eve schnell die Schattenseiten des Universitätslebens kennen: Hartley Kendall der Präsident der Universität ist der Prototyp des Machtpolitikers. Nach außen vertritt er zwar den strikten Sparkurs, verfolgt aber nur seine eigenen Reichtums und Machtinteressen. Denn Einfluß an der Universität und in dessen Stiftungsrat haben nur die Mitglieder und Förderer der U_S, was U_numschränkte S_eelenruhe bedeutet. Psychaterin und Hellseherin Anna Na

Andreas Lehmann: Schwarz auf Weiss

Wieder hat der Karl Rauch Verlag es geschafft mich bereits mit der Cover-Gestaltung zu überzeugen. Ich wünschte alle meine Bücher würden so aussehen! Karl Rauch Verlag // 2021 176 Seiten // 20,00 Euro // Hardcover Als Martin Oppenländer erkennt wie sinnlos und monoton seine Arbeit letztlich ist, will er nicht länger von ihr abhängig sein. Kurzerhand macht er sich selbstständig. Doch die erhoffte Freiheit stellt sich nicht ein als die Welt auf einmal still steht. Da keine Aufträge hereinkommen, bleibt er in der Abhängigkeit, doch dieses mal nicht von einem Arbeitgeber, sondern vom Staat. Sein Leben scheint komplett aus den Fugen geraten zu sein, ohne Alltag mit einem Job, den er nicht ausüben kann. In dieses Chaos hinein erreicht ihn ein Anruf aus der Vergangenheit - von einer Frau, an die er sich nicht mehr erinnern kann. Als Martin ihr dies gesteht, ist sie zunächst nicht sonderlich erbaut darüber. Trotzdem ruft sie wieder an. Und während er versucht ein Bild von dieser Frau zusammen