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Ton Veerkamp: Abschied von einem messianischen Jahrhundert. Politische Erinnerungen

Die politischen Erinnerungen Ton Veerkamps sind ein großes Stück Zeitgeschichte eingebettet in das Leben dieses außergewöhnlichen Mannes. Veerkamp, geboren 1933, erzählt von seiner Kindheit in Amsterdam als Sohn eines Bauarbeiters und seiner katholischen Mutter. Er beginnt eine Ausbidung als Banklehrling, die ihn jedoch nicht ausfüllt. Sein Wunsch Philosophie zu studieren erfüllt sich als er in den Jesuitenorden eintritt. An das Philosphiestudium schließt sich ein Theologiestudium an. Sein Weg scheint vorgezeichnet zu sein: „In New York promovieren, danach zurückkehren und bei den Jesuiten Professor werden.“ 

Biographie // Ariadne Argument // 2020 
320 Seiten // 24,00 Euro


Aus Liebe zur Buchhändlerin Marianne Reichhoff, die er bei einem Besuch in Ostberlin kennengelernt hatte, verlässt Veerkamp die Jesuiten. Durch die Heirat mit einem Niederländer und dem gemeinsamen Kind erhält Marianne die Ausreisegenehmigung. Die Familie lässt sich in Westberlin nieder, wo sich Veerkamp als Pfarrer in der evangelischen Studentengemeinde in Berlin um die Probleme der ausländischen Studenten kümmert.

Veerkamps Leben verläuft zwischen Theologie und Politik “Ich machte politische Arbeit und übte gleichzeitig die politische Lektüre des Grunddokumente des Christentums. Ich fuhr also strikt doppelgleisig“. Die Studierenden finden die theologischen Betrachtungen ganz interessant, aber auch nutzlos, da sie nicht genügend mit dem politischen Kampf zu tuen haben. Die Kirchenleitung sieht sich im Zweispalt und hätte die Evangelische Studenten Gemeinde am liebsten ganz geschlossen.

Für Veerkamp stellt sich nicht die Frage „Wer ist Gott?“ oder „Gibt es einen Gott?“, sondern seine Grundfrage blieb „Was ist, was funktioniert – in einer gegebenen Gesellschaft - als Gott?“. Er gründet 1978 die exegetische Zeitschrift Texte & Kontexte - die es heute noch gibt - und 1982 den Verein Lehrhaus. Nach seiner Pensionierung lernt, lehrt und veröffentlicht er weiter.

„Auf den Wegen, die ich ging und gehen musste, zog ich von Station zu Station, immer wieder Abschied nehmend: Abschied von der katholischen Kirche und ihrer Avantgarde, den Jesuiten. Abschied von Christentum überhaupt. Abschied von einem vernunftgeleiteten und humanen Sozialismus, wie wir ihn wollten. Abschied von den vielen messianistischen Illusionen, die die Linken der Jahre sechszig bis achtzig des vorigen Jahrhunderts auf Irrwege schickten. In der Tat: Abschied von einem Messianischen Jahrhundert. Wege ohne Ende, Wege, die zunächst Irrwege schienen, dabei oft Umwege zu uns selbst waren. Aber, wie ich in Die Welt anders schrieb: „Wie können wir leben, ohne unserer Herkunft zu gedenken, auch und gerade dann, wenn Ankunft für immer ein fremdes Wort bleibt?““ 

Wir danken dem Ariane. Argument Verlag für das Rezensionsexemplar.

Vorgelesen von 

        Gisela

PREVIEW: Und das nächste Mal bei den Vorlesern...
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