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Charlotte Wood: Ein Wochenende


Am Weihnachtswochende fahren die drei Freundinnen Jude, Wendy und Adele ans Meer, um das Strandhaus ihrer verstorbenen Freundin Sylvie zu entrümpeln. Alle drei haben einen sehr unterschiedlichen Lebensweg eingeschlagen, sind selbstbewußte kämpferische Frauen.
Und das einzigartige an diesem Roman ist, dass es sich um Frauen Mitte 70 handelt.

Roman // Original: The Weekend
Kein&Aber // 2019 // Aus dem australischen Englisch von Brigitte Walitzek
Gebunden // 288  Seiten // 22,00 Euro



Jude ist die Stärkste, deren Kritik die anderen fürchteten. Sie war Chefin aller begehrten Restaurants und der Liebling der einflussreichen Leute, die um einen Tisch buhlten. „Als sie mit einer langsamen Drehung des Kopfes, der Intensität ihres Blickes, jeden Raum beherrschte.“

Wendy kommt mit ihrem viel zu alten Hund. Sie ist die intellektuelle, die begehrte Feministin und Autorin. „Sie verabscheute Nostalgie, die Vergangenheit langweilte sie. Doch vor allem verabscheute sie Selbstmitleid.“

Adele war eine berühmte Schauspielerin, sie ist immer noch schön, aber auch nahezu mittellos. Sie ist nur im Theater aufgetreten, alle anderen Jobs hat sie abgelehnt. „Sie hatte ihr Leben damit verbracht, alle Teile ihrer selbst zu leben, während normale Menschen den schmalsten, eingeschränktesten Pfad der Erfahrung einschlugen. Sie dagegen machte Kunst statt Geld, und das war, wie ein krummer Rücker, in Ordnung, solange man jung war. Mittelloses Künstlertum war mit dreißig romantisch. Wenn man die fünfzig überschritten hatte, fingen die Leute an, einen dafür zu verachten“

Alle drei kennen auch die Schattenseiten des Lebens, haben ihre Geheimnisse. Sie haben vieles miteinander durchgestanden und nun hat Sylvies Tod ihnen den Boden unter den Füssen weggerissen. Sie beginnen ihre Gefühle für einander zu hinterfragen, „denn Freundinnen sagen sich nicht die Wahrheit“. Am Ende des turbulenten Wochenendes haben sie mit ihrem früheren Leben abgeschlossen und erkennen, dass sie sich neu finden müssen, neu erfinden dürfen.

Auf der letzten Seite stehen sie im Meer, halten sich an den Händen und tauchen unter die auf sie zurollenden Wasserwand: „Jede von ihnen lies los, tauchte unter, fühlte sich getragen, hochgehoben von der Kraft des Wassers und - erstaunlich sanft - abgesetzt. Sie atmeten, wischten sich die Augen, fassten sich erneut an den Händen und warteten auf die nächste Welle.“

Charlotte Wood schreibt intensiv, kraftvoll und voller Poesie. Sie zeigt eindrucksvoll, dass man eigentlich nie zum „alten Eisen“ wird, dass die Gefühlswelt der „Alten“ nicht viel anders ist als die der „Jungen“. Ein wundervolles Buch; Anfänge sind immer möglich.


Wir danken Kein&Aber für das Besprechungsexemplar.

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