Original: Los Peor, 1995
[Roman]
Im „Wo wir lesen“ - Post am Naturcampingplatz konntet ihr schon das wundervolle Cover bewundern. Der Mönch, das Kind und die Stadt ist im spanischen Original (Los Peor) schon 1995 erschienen. Im Unionsverlag 2011 in der deutschen Übersetzung von Lutz Kliche. Auf der Suche nach geeignetem Lesestoff für unser Pfingstwochenende an einem ruhigen, abgelegenen Ort fand ich glücklicherweise das tolle Buch von Fernando Contreras Castro in unserem Bücherschrank wieder.
Die bewegende märchenhafte Geschichte vom Mönch Jeronimo passte perfekt in das wald- und wassereiche Brandenburg.
Die Hauptfigur ist der in etwa 50 jährige Jeronimo, der aufgrund seiner großen geistigen Fähigkeiten aus der Oberschule ins Priesterseminar gebracht wurde. Dort überraschte er bald durch seine Intelligenz und Kenntnis der alten Sprachen und seine Zelle war der Ort für rege Unterhaltungen und Diskussionen. Aber Jeronimo veränderte sich, seine Persönlichkeit entglitt ihm immer mehr und er begann sich von seinem eigenen Leben zu entfernen. Zum Beispiel verbrachte er Tage damit am Brunnen zu sitzen und Ovid zu zitieren und lateinische Sprüche vor sich hin zu murmeln. In den Jahren seiner Verwirrtheit ging er einfach in einer Stadt in das Kloster irgendeines Ordens bis seine Franziskanerbrüder ihn wieder abholen kamen.
Schließlich strandet Jeronimo hager und in zerlumpter Franziskanerkutte in einem Bordell in San Jose. Dort findet er zufällig seine Schwester Consuela wieder, die dort als Köchin arbeitet. Seine Schwester nimmt ihn auf, die Bordellmutter duldet Jeronimo in einer kleinen Kammer in ihrem Haus und auch die „Mädchen“ finden Gefallen an Jeronimo und seinen Sonderheiten.
Zu allen Tages- und Nachtzeiten durchstreift Jeronimo mit einer Botschaft für die Menschen, die er auf ein Pappschild geschrieben hat die Stadt San Jose, latenische Sprüche vor sich hin murmelnd. Besonders gut hat mir Jeronimos Spruch: „Wenn ich etwas in den Tod mitnehmen könnte, dann wäre es das Geräusch des Meeres“ gefallen. Die Menschen gewöhnen sich an seine harmlose und freundliche Art und Jeronimo kann sogar ungeschoren durch die finsteren verbotenen Straßen und Winkel der Stadt streifen. Bei seinen Touren lernt er den Blinden Don Felix und seinen Hund und Cristalino kennen. Jeronimo schließt auch die Augen und auf ihren Streiftouren durch San Jose, ersteht auch vor ihm das Bild einer längst untergegangenen Stadt.
Eines Tages findet ein krankes und schwangeres Mädchen vom Land Zuflucht im Bordell. Sie bringt einen Jungen zur Welt: „Das Kind war in allem ganz normal, außer dass auf seiner Stirn nur ein einziges großes, schwarzes, wunderschönes Auge prangte“.
Jeronimo nennt ihn in Anlehnung an den Zyklopen Polyphem aus Homers „Odysee“ ebenfalls Polyphem. Versteckt darf er im Hof des Bordell aufwachsen. Jeronimo und Consuela ziehen ihn auf und die Mädchen akzeptieren seine Gegenwart. Nur die Mutter, die jetzt auch im Bordell ihren Lebensunterhalt verdient, kann ihren Sohn nicht lieben und sieht seine Missbildung als Zeichen ihrer Bestrafung an. Für Jeronimo dagegen bedeutet die Geburt Polyphems den Beginn der Zeit, der neuen Zeit. Aus medizinischer Sicht ist die Missbildung jedoch eine Folge des hohen Pestizid-Einsatzes in der Landwirtschaft, in der auch die Mutter arbeitete.
Jeronimo liebt den Jungen und macht ihn mit seiner humanistischen Bildung vertraut. Neben Spanisch spricht Polyphem bald auch Latein. Endlich hat Jeronimos Leben wieder Ziel und Sinn gefunden. Polyphem wächst heran und mit einer Mütze tief über die Augen begleitet er Jeronimo auf seinen Streifzügen durch die Stadt. Polyphem wird seinem Namen gerecht und sieht sich als einen späten Nachfahren der Gattung der Zyklopen. Bald beginnt er auch auf eigene Faust die Stadt zu erkunden und schließlich lernt Jeronimo San Jose und die darin lebenden Kinder auch mit Polyphems Augen sehen.
Obwohl Jeronimo fast so etwas wie ein Heiliger ist, ist meine Lieblingsheldin Consuela. Sie muss ihr normales Hausfrauendasein aufgegeben und als Köchin in dem Bordell arbeiten als ihr Mann infolge eines Stromschlags seinen Arbeitsplatz und seine geistige Gesundheit verliert. Ohne zu zögern nimmt sie Jeronimo trotz ihrer kargen Verhältnisse auf. Ebenso versorgt sie später Polyphem als sie bemerkt, wie gut seine Gegenwart Jeronimo tut. Consuela ist der Fels in der Brandung, der dem Leben der Menschen im Bordell Halt und Sicherheit bietet.
Fernando Contreras Castro ist ein costaricanischer Autor und Literaturwissenschaflter. Kunstvoll verwebt er in der Figur des Jeronimo die alten Mythen und die Vergangenheit der Welt und der Stadt. Mit Polyphems Geburt lässt er die antike Welt auferstehen, gleichzeitig jedoch auch die Gegenwart mit der harten Realität des Lebens und der Armen in der costaricanischen Stadt. Und so werden für Jeronimo die Antike, die untergegangen Stadt des Blinden und die Realität des Polyphem wieder zusammengeführt.
Für mich ist es eine wunderbare Geschichte voller Gleichnisse und Mythen und voller Hoffnung. Selbst die leichte Melancholie ist von wunderschöner Traurigkeit.
Unionsverlag, 2011; aus dem Spanischen von Lutz Kliche
Seiten 218, 9,90 Euro
Im „Wo wir lesen“ - Post am Naturcampingplatz konntet ihr schon das wundervolle Cover bewundern. Der Mönch, das Kind und die Stadt ist im spanischen Original (Los Peor) schon 1995 erschienen. Im Unionsverlag 2011 in der deutschen Übersetzung von Lutz Kliche. Auf der Suche nach geeignetem Lesestoff für unser Pfingstwochenende an einem ruhigen, abgelegenen Ort fand ich glücklicherweise das tolle Buch von Fernando Contreras Castro in unserem Bücherschrank wieder.
Die bewegende märchenhafte Geschichte vom Mönch Jeronimo passte perfekt in das wald- und wassereiche Brandenburg.
Die Hauptfigur ist der in etwa 50 jährige Jeronimo, der aufgrund seiner großen geistigen Fähigkeiten aus der Oberschule ins Priesterseminar gebracht wurde. Dort überraschte er bald durch seine Intelligenz und Kenntnis der alten Sprachen und seine Zelle war der Ort für rege Unterhaltungen und Diskussionen. Aber Jeronimo veränderte sich, seine Persönlichkeit entglitt ihm immer mehr und er begann sich von seinem eigenen Leben zu entfernen. Zum Beispiel verbrachte er Tage damit am Brunnen zu sitzen und Ovid zu zitieren und lateinische Sprüche vor sich hin zu murmeln. In den Jahren seiner Verwirrtheit ging er einfach in einer Stadt in das Kloster irgendeines Ordens bis seine Franziskanerbrüder ihn wieder abholen kamen.
Schließlich strandet Jeronimo hager und in zerlumpter Franziskanerkutte in einem Bordell in San Jose. Dort findet er zufällig seine Schwester Consuela wieder, die dort als Köchin arbeitet. Seine Schwester nimmt ihn auf, die Bordellmutter duldet Jeronimo in einer kleinen Kammer in ihrem Haus und auch die „Mädchen“ finden Gefallen an Jeronimo und seinen Sonderheiten.
Zu allen Tages- und Nachtzeiten durchstreift Jeronimo mit einer Botschaft für die Menschen, die er auf ein Pappschild geschrieben hat die Stadt San Jose, latenische Sprüche vor sich hin murmelnd. Besonders gut hat mir Jeronimos Spruch: „Wenn ich etwas in den Tod mitnehmen könnte, dann wäre es das Geräusch des Meeres“ gefallen. Die Menschen gewöhnen sich an seine harmlose und freundliche Art und Jeronimo kann sogar ungeschoren durch die finsteren verbotenen Straßen und Winkel der Stadt streifen. Bei seinen Touren lernt er den Blinden Don Felix und seinen Hund und Cristalino kennen. Jeronimo schließt auch die Augen und auf ihren Streiftouren durch San Jose, ersteht auch vor ihm das Bild einer längst untergegangenen Stadt.
Eines Tages findet ein krankes und schwangeres Mädchen vom Land Zuflucht im Bordell. Sie bringt einen Jungen zur Welt: „Das Kind war in allem ganz normal, außer dass auf seiner Stirn nur ein einziges großes, schwarzes, wunderschönes Auge prangte“.
Jeronimo nennt ihn in Anlehnung an den Zyklopen Polyphem aus Homers „Odysee“ ebenfalls Polyphem. Versteckt darf er im Hof des Bordell aufwachsen. Jeronimo und Consuela ziehen ihn auf und die Mädchen akzeptieren seine Gegenwart. Nur die Mutter, die jetzt auch im Bordell ihren Lebensunterhalt verdient, kann ihren Sohn nicht lieben und sieht seine Missbildung als Zeichen ihrer Bestrafung an. Für Jeronimo dagegen bedeutet die Geburt Polyphems den Beginn der Zeit, der neuen Zeit. Aus medizinischer Sicht ist die Missbildung jedoch eine Folge des hohen Pestizid-Einsatzes in der Landwirtschaft, in der auch die Mutter arbeitete.
Jeronimo liebt den Jungen und macht ihn mit seiner humanistischen Bildung vertraut. Neben Spanisch spricht Polyphem bald auch Latein. Endlich hat Jeronimos Leben wieder Ziel und Sinn gefunden. Polyphem wächst heran und mit einer Mütze tief über die Augen begleitet er Jeronimo auf seinen Streifzügen durch die Stadt. Polyphem wird seinem Namen gerecht und sieht sich als einen späten Nachfahren der Gattung der Zyklopen. Bald beginnt er auch auf eigene Faust die Stadt zu erkunden und schließlich lernt Jeronimo San Jose und die darin lebenden Kinder auch mit Polyphems Augen sehen.
Obwohl Jeronimo fast so etwas wie ein Heiliger ist, ist meine Lieblingsheldin Consuela. Sie muss ihr normales Hausfrauendasein aufgegeben und als Köchin in dem Bordell arbeiten als ihr Mann infolge eines Stromschlags seinen Arbeitsplatz und seine geistige Gesundheit verliert. Ohne zu zögern nimmt sie Jeronimo trotz ihrer kargen Verhältnisse auf. Ebenso versorgt sie später Polyphem als sie bemerkt, wie gut seine Gegenwart Jeronimo tut. Consuela ist der Fels in der Brandung, der dem Leben der Menschen im Bordell Halt und Sicherheit bietet.
Fernando Contreras Castro ist ein costaricanischer Autor und Literaturwissenschaflter. Kunstvoll verwebt er in der Figur des Jeronimo die alten Mythen und die Vergangenheit der Welt und der Stadt. Mit Polyphems Geburt lässt er die antike Welt auferstehen, gleichzeitig jedoch auch die Gegenwart mit der harten Realität des Lebens und der Armen in der costaricanischen Stadt. Und so werden für Jeronimo die Antike, die untergegangen Stadt des Blinden und die Realität des Polyphem wieder zusammengeführt.
Für mich ist es eine wunderbare Geschichte voller Gleichnisse und Mythen und voller Hoffnung. Selbst die leichte Melancholie ist von wunderschöner Traurigkeit.
Unionsverlag, 2011; aus dem Spanischen von Lutz Kliche
Seiten 218, 9,90 Euro
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