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Ralf Günther: Die Badende von Moritzburg. Eine Sommernovelle.

Roman // Kindler Rowohlt Verlag // 2017 
107 Seiten // 15,00 Euro // Hardcover


Es ist 1910, die junge Clara hält sich aufgrund ihrer panikartigen Erstickungsanfälle in der Lahmannschen Klink in der Nähe von Dresden auf. Hier wird auf die naturnahe, gesunde Lebensführung gesetzt, tägliche Luftbäder im leichten Kleid, vegetarische Ernährung, fundamentale Nährsalze und Rohkost. Clara langweilt sich unendlich und so kommt ihr der ungewöhnliche Vorschlag des neuen jungen Doktors, einem Anhänger der neuen Freudschen Lehre, sehr gelegen.

In der ersten Sitzung a la Dr. Freud stellt Dr. Brandstetter fest, dass Claras Erstickungsanfälle kurz nach dem Tod ihrer Mutter anfingen. Sie treten immer wieder auf, wenn der Vater Clara einen Heiratskandidaten vorstellt, worauf hin Dr. Brandstetter Claras Leiden als Psychosomatisch diagnostiziert. Er schlägt Clara einen Besuch mit Übernachtung in das nahe gelegene Moritzburg zur Zerstreuung vor. Um weitere Sitzungen abhalten zu können, will er dorthin nachkommen.
Und jetzt geschieht etwas für die damalige Zeit Ungewöhnliches, was der Novelle eine neue Richtung gibt:
Die den Konventionen verhaftete Clara erweist sich als abenteuerlustig und willigt ein. Sie nimmt die Reise mit Kutsche und Eisenbahnen ohne standesgemäße Begleitung auf sich. Und das Ungewöhnliche geht in Moritzburg weiter. In der Moritzburger Teichlandschaft trifft sie auf Ernst Ludwig Kirchner, Pechstein und Heckel, die später als die Künstler der Dresdner „Die Brücke“ berühmt gewordenen Maler. Sie genießen den heißen Sommertag und baden mit ihren Modellen nackt im See, malen, picknicken und laden Clara dazu ein. Das führt dazu, dass Clara die Nacht mit Kirchner in seiner Holzhütte verbringt. Clara genießt die neue Freiheit, den Leichtsinn und die Unbeschwertheit.

Inzwischen gibt es in der Klinik eine große Aufregung, da Claras Vater zu einem Überraschungsbesuch gekommen ist. Doch auch jetzt gelingt es Clara durch ihre kluge und besonnene Art ein für alle Beteiligten gutes Ende herbeizuführen. Clara beweist, dass auch die Frauen Anfang des 20. Jahrhunderts sich mit viel Lebenslust, Mut und Durchsetzungskraft von Konventionen lossagen wollten.
Die Badende von Moritzburg ist so leicht und schön wie ein Sommertag und so klug und voll des neuen leichteren Zeitgeistes.


Für das Rezensionsexemplar danken wir: 

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